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420 Psychische Studien, XIV. Jahrg. 9. Heft. (September 1887.)
eine ganz naturgemässe physiologisch-psychische Weise, ohne
den hohen Himmel selbst dabei zu kompromittiren. Alles,
worauf sich die Sehnsucht des menschlichen Geistes richtet,
erscheint ihm in einer zur Zeit allein möglichen Projektion.
Es giebt aber deren unendliche.
Ich habe für die uns berichteten und mir selbst zugänglich
gewesenen sinnlich-leibhaftigen Fälle eine ganz
andere mögliche Erklärung gefunden, ohne dass ich damit
in den sinnlichen Geister- und Wunderglauben
der naiven Volksanschauung hinein zu gerathen
brauchte. Alle Erscheinungen, die man fiüher personi-
ficirten Geistern zuschrieb, haben sich vor der exakten
Beobachtung meist auf andere natürliche Ursachen oft
vendekeltstcr Art zurückführen lassen. So ist es gekommen,
dass unerklärliche mediumistische Erscheinungen früher den
vermeintlich mit dem Teufel und bösen Geistern im
Bunde stehenden Hexen und Zauberern zugeschrieben
wurden, weil man die wahre physische und psychische Ursache
nicht kannte. Und als endlich dieser Teufelsglaube
fiel, gerieth die sogenannte Aufklärung in's andere Extrem
und schrieb dergleichen Vorgänge nur absichtlichem Betrage
zu. So geschah es noch im Anfang der achtziger Jahre
unseres Jahrhunderts, dass man Hamen mit seinen reellen
hypnotischen Erscheinungen in Berlin, Leipzig, Dresden und
Wien für einen blossen Betrüger und Schwindler verschrie.
Und jetzt? Unsere aufgeklärten Herren Aerzte und Physiologen
haben plötzlich ein neues physiologisches Studiengebiet
in ihnen entdeckt! So geht es mit echten Medien und
Psychikern noch. Was Wunder, wenn im vorigen Jahrhundert
die damalige aufgeklärte und gläubige Welt über
sogenannte „Geisterseherei" noch ganz im Dunkeln tappte.
Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Seance vom Jahre
1787 kein Betrug, sondern ein ganz natürlicher Vorgang bei
einem dafür begabten somnambulen Medium war, welches
in dem Gemüthe des Königs selbst las und ihm den höchsten
Gegenstand seiner Sehnsucht, seinen gestorbenen Lieblingssohn
Grafen Alexander von der Mark, vorzauberte, aber nicht
leibhaftig, als körperlichen Geist, sondern als visionäre
Erscheinung. In Folge dessen ist auch unsere Ueberschrifts-
frage falsch gestellt: „Geist-Erscheinung oder Betrug4*? Die
Antwort lautet: „Es ist in Wirklichkeit weder das Eine
noch das Andere. Es ist bestenfalls nur eine somnambul-
mediumistische Erscheinung, deren wahres Wesen aber noch
nicht ermittelt ist oder weiter studirt werden muss, bevor
es mit einem transcendenten Geist oder einem diesseitigen
Betrüge identificirt werden kann. Ich habe mich zu wirklich
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