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Wittig: Ein Wort der Verteidigung f. d. psychische Theorie. 521
sich bewähren. Dagegen kann ich dem Verfahren jener
Spiritisten nicht, oder wenigstens noch nicht, beistimmen,
die aus den Aussprüchen der Geister ein religiöses System
zusammenstellen wollen. Ich verwerfe nicht vorweg die
Möglichkeit werthvoller Geisteraussprüche; aber Metaphysik
und Ethik können naturgemäss nur die letzten Blüthen
einer wissenschaftlichen Weltanschauung sein. Die spiritistische
Moral schwebt in der Luft, wenn ihr nicht eine
wissenschaftliche Begründung des Spiritismus vorhergeht.
Bevor wir den Aussprüchen der Geister Glauben beimessen,
müssen wir bestimmt wissen, wer diese Geister sind, die
sich kundgeben. So lange das Problem der Identität der
Geister mit verstoibenen Menschen nicht vollkommen gelöst
ist, ist auch der spiritistische Unsterblichkeitsbeweis noch
unvollkommen und nicht gegen jeden Einwurf sicher gestellt.
Die Spiritisten verfahren also zum mindesten anachronistisch,
wenn sie bereits mit Metaphysik und Ethik sich befassen,
bevor noch die wissenschaftliche Grundlage des Systems
fest gelegt und bis zu jener Höhe aufgeführt ist, dass sie
eine Metaphysik und Ethik zu tragen vermag." — Ich will
zuerst angeben, worin ich mit dem Herrn Verfasser übereinstimme
. Nur in dem mittelsten Satze: — „Bevor wir
den Aussprüchen der Geister Glauben beimessen, müssen
wir bestimmt wissen, wer diese Geister sind, die sich kundgeben
. So lange das Problem der Identität der Geister
mit verstorbenen Menschen nicht vollkommen gelöst ist, ist
auch der spiritistische Unsterblichkeitsbeweis noch unvollkommen
und nicht gegen jeden Einwurf sichergestellt." Das
ist von jeher meine Anschauung gewesen und geblieben.
Aber ich kann von dem vorherigen Erweise, wer diese
Geister sind, nicht auch zugleich die Vorschrift abhängig
machen, dass die schon jetzt daran gläubigen Spiritisten
sich so lange jeder eigenen Metaphysik, Moral und Religion
enthalten sollen, bis dieses Problem voll gelöst ist. Es
scheint eben nur mein erkenntnisstheoretisches Denk-
geheimniss, dass dieses Problem niemals auf dem bisher
eingeschlagenen bloss empirischen Wege gelöst werden wird.
Die Wissenschaft wird die Phänomene des Spiritismus stets
in nur diesseitige transcendeatale Probleme umwandeln und
mehr und mehr auflösen, wie sie schon so vieles Wunderbare
aufgelöst hat; aber in die eigentliche Metaphysik
und Transcendenz der Geisterwelt wird
sie dadurch nicht eindringen. Diese wird hienieden
stets Sache des höchsten religiösen Glaubens bleiben, allerdings
nicht eines blinden, sondern eines auf Grund aller Welterfahrungen
(nicht bloss der spiritistischen) überzeugungs-
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