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532 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1887.)
Der Graf Saint-Germain accompagnirt aus dem Kopfe
auf dem Ciavier nicht nur jedes Gesangsstück, sondern sogar
die schwierigsten Concerte, welche auf andern Instrumenten
gespielt werden. Rameau war tief ergriffen von dem
Spiele dieses Dilettanten, und besonders über sein gründliches
Präludium. Der Graf malt sehr schön in Oel; was
aber seine Gemälde besonders merkwürdig macht, ist eine
eigene Farbe, ein Geheinmiss, welches er entdeckt hat, und
die der Malerei einen ausserordentlichen Glanz verleiht In
den historischen Stücken, welche Saint-Germain malt, bringt
er jederzeit bei den Gewändern der Frauen Schmuck von
Saphiren, Rubinen und Smaragden an, denen seine Farben
den Glanz wirklicher Steine verleihen. Vanloo, welcher
nicht müde wird, die überraschenden Farben zu bewundern,
hat den Grafen oft um Mittheilung dieses Geheimnisses gebeten
, dieser will es aber nicht enthüllen.
Ohne dass man trachtet, sich über die ausgebreiteten
Kenntnisse eines Menschen Rechenschaft abzulegen, über
den sich in dem Augenblicke, als ich dieses schreibe, Hof
und Stadt in Vermuthungen erschöpfen, kann man, wie
ich glaube, wohl behaupten, dass ein Theil der Wunder,
die er thut, der Physik und der Chemie zuzuschreiben sind,
in welchen er gründliche Kenntnisse besitzt. Wenigstens ist
es offenbar, dass seine Kenntnisse ihm eine feste Gesundheit
verschafft haben, ein Leben, welches die Grenzen der
gewöhnlichen Dauer überschreiten wird, oder vielleicht
schon überschritten hat, so wie das schwieriger zu begreifende
Mittel, die Verwüstungen der Zeit an dem menschlichen
Körper zu verhindern. Unter andern Geständnissen
über die staunenerregenden Eigenschaften des Grafen von
Saint-Germain, welche die Frau v. Gergy der Favorite machte,
nachdem sie zum ersten Male wieder mit dem Grafen zusammengetroffen
, legte sie auch das ab, dass sie, während
ihres ersten Aufenthaltes in Venedig, von ihm ein Elixir
erhielt, welches ihr ein volles Vierteljahrhundert lang die
Reize unverändert erhielt, die sie mit 25 Jahren besass.
Aeltere Herren, die Frau v. Pompadour um diesen sonderbaren
Umstand befragte, gaben die Versicherung, dass derselbe
vollkommen der Wahrheit gemäss sei, und erzählten
selbst, dass das Stehenbleiben im Ansehen der Jugend der
Frau v. Gergy lange Zeit das höchste Staunen des Hofes
und der Stadt erregt hätte. Hier eine Thatsache, welche
die Versicherung der Frau v. Gergy, durch das Zeugniss
der Greise bereits unterstützt, noch mehr im Lichte der
Wahrheit erscheinen lässt.
Eines Abends hatte Saint-Germain in einer Gesellschaft
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