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Hintereker: Der Graf von Saint-Germain. 539
Gesicht des Grafen Saint-Germain eben so frisch war, als
auf dem Portrait, das er im Jahre 1750 der Frau von
Urfe, der Grossmutter des Herren von Chätelet, schenkte.
Erinnert man sich nun, dass im Jahre 1750 die Frau von
Gergy diesen sonderbaren Mann in Versailles eben so jung
wiedersah, als sie ihn im Jahre 1700 in Venedig gekannt
hatte, so sieht man mit vollem Staunen, dass 76 Jahre über
dem Gesichte dieses Menschen hingingen, ohne es nur im
Geringsten zu verändern. — Das vermag selbst der stärkste
Verstand sich nicht zu erklären.
Saint-Germain verliess hierauf den Hof des Markgrafen
von Anspach, machte eine Reise durch Italien und Dänemark,
und erschien dann am Hofe des Kurfürsten von Hessen-
Cassel, versehen mit Empfehlungsbriefen von Dänemark,
Der Kurfürst nahm ihn sehr gnädig auf und gab ihm eine
Wohnung in seinem eigenen Schlosse. Dieser geheimnissvolle
Mensch langte im Jahre 1782 in Hessen-Cassel ohne
Equipage, ohne Gefolge und sogar zu Fuss an. Bald indessen
liess er eine ungeheure Menge von Diamanten sehen,
und begann eben so ein kostspieliges Leben, wie er in Paris
geführt hatte. Französische Reisende, welche ihn in dem
Gefolge des Kurfürsten sahen, erkannten ihn wieder, so wie
er sich vor 32 Jahren im Oeil de Boeuf gezeigt hatte ;
allein so gern er sich auch artig beweisen wollte, vermochte
er doch in den durch das Alter gebeugten Greisen die
kräftigen Männer nicht wieder zu erkennen, die sie damals
gewesen waren. Während der letzten zwei Jahre, welche
der Graf Saint-Germain noch lebte, schien derselbe durch
eine unüberwindliche Traurigkeit aufgerieben zu werden:
allmählig erklärte sich die Auszehrung, ohne jedoch das
Physische des Kranken zu verändern; der Tod erfolgte, ehe
noch die Krankheit dem merkwürdigen Menschen ihre Spuren
aufgedrückt hatte. Saint-Germain zeigte, wie man sagt,
sterbend ein furchtbares Entsetzen; seine letzten Augenblicke
waren mit Seelenfolt^rn bezeichnet, die sich durch Ausrufungen
in einer unbekannten Sprache verriethen. Er
endete nach langem Todeskampfe, umgeben von seinen
Enthusiasten, welche staunten, dass auch er dem Gesetze
der Sterblichkeit erliegen müsse.
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