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72 Psychische Studien, XV. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1888.)
Ebenso für die Materialisation, welche sich vor den Augen
der Mitsitzenden erzeugte. Als Hallucination gefällt die
Entwicklung dieses Phänomens Herrn v. Hartmann; aber
als objectives Phänomen missfällt ihm sein Auftreten; als
Beweis, dass das Medium nicht „der unbewusste Producent
der Phantome" ist, müsste es etwas anderes sein: - - „Wenn
aber eine vollständige Ablösung erfolgte und das Phantom
in dem Prozess seines Entstehens und Vergehens beobachtet
wurde, so zeigte sich, dass dasselbe ganz und gar aus dem
Medium ausströmte und in dasselbe zurückströmte und,
zwar nicht als fertige, sich allmählig mit Stoff füllende und
wieder entleerende Gestalt, sondern als formloser, erst
allmählig Gestalt gewinnender und ebenso wieder in Gestaltlosigkeit
zerrinnender Nebel" (S. 110). — Wenn das
wirklich nur eine Hallucination wäre, so würde die Phantasie
der Medien sogar alle Erfordernisse des Dr. v. H. übertroffen
haben: alle Arten „fertiger Gestalten" würden plötzlich
erschienen und verschwunden sein, Engel würden vom
Himmel herab und in denselben hinaufgestiegen sein mit
Cherubim und Seraphinen, und noch viele andere Dinge. —
Hiermit verbindet sich noch eine andere Erwägung: Wenn
die Materialisationen nur vom Medium erzeugte Hallucina-
tionen sind, und wenn das Medium die Fähigkeit hat, alle
in den Tiefen des larvirten somnambulen Bewusstseins der
Mifcsitzer aufgespeicherten Bilder zu sehen und durch Gedankenlesen
in alle Ideen und Eindrücke einzudringen,
welche sich in ihrem Gedächtniss im latenten Zustande
aufbewahrt finden, — so würde doch für dasselbe nichts
leichter sein, als die Beisitzer der Seance im höchsten
Grade damit zu befriedigen, dass es ihnen stets die Gestalten
derjenigen verstorbenen Personen erscheinen Hesse,
welche ihnen nahe und theuer sind. Welch ein Triumph,
welcher Ruhm, welche Glücksquelle für ein solches Medium!
Aber zum grossen Bedauern der Medien verlaufen die
Dinge nicht also: grösstenteils sind es fremde Gestalten,
die sich zeigen, die trotz allem Wollen des Gegentheils
Niemand kennt, und die Fälle, in denen die Aehnlichkeit
mit einem Verstorbenen gut festgestellt, wohl bezeugt ist,
nicht allein was die Gestalt, sondern auch was die innere
Persönlichkeit betrifft, sind sehr selten. Die ersteren sind
die allgemeine Regel, die letzteren bilden die Ausnahmen.
Alle diese negativen Seiten, welche keineswegs die Anforderungen
oder Erwartungen befriedigen, die man von
diesen Phänomenen erheischt, dienen in meinen Augen als
Beweis, dass wir es hier mit einem natürlichen Phänomen
zu thun haben, das seine eigenen Manifestations-Weisen und
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