http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1888/0109
Maack: Der dreifache ursprüngliche Glaube etc. 103
beide mit Vorstellungen und Gedanken operiren, so bleibt
doch der Unterschied zwischen ihnen bestehen, dass die
„Seele" den Inhalt ihres Denkens unmittelbar hat, ihn
in sich erlebt und ihn nicht, um ihn zum Verständniss des
Ichs zu bringen, begrifflich oder in Worten fixirt aussprechen
zu lassen braucht (was in den meisten Fällen übrigens auch
unmöglich ist), dass der „ G e i s t" dagegen den Inhalt seines
Denkens in letzter Instanz immer mittelbar hat und gezwungen
ist, zum Verständniss für das Ich und — was
wichtig ist — auf Kosten des Erkennens vom wahren Wesen
der Dinge über das von ihm Erkannte und Gewollte
begrifflich sich auszusprechen♦ Erkennt nun der menschliche
Geist die phänomenalen Grenzen seines Erkenntnissvermögens,
erkennt er ferner (und zwar absolut richtig) zugleich, dass
vielmehr sein Nebenbuhler — man kann diesen Ausdruck
gut anwenden, da im Drama des Lebens so häufig ein
Conflict der beiden Charactere unseres Ichs sich abspielt I
— dass die Seele in der That befähigt ist, absolute Welt-
Wahrheiten (wenn auch in einer anderen und zwar ihr
eigenthümlichen Form des „Glaubens" oder des „unmittelbaren
Ueberzeugtseins") zu erfassen, d. h. in eigener
spezifischer Art zu erkennen und zu wissen vermag, so liegt
in diesem Raisonnement durchaus kein Widerspruch, den
man vermuthen könnte. Denn der Geist (die Reflexion)
erkennt hior, wie anderswo, diese seine Unzulänglichkeit
nicht direkt und allein durch sich selber, — es müsste
denn unser ganzes Innen-Leben in dem Geist aufgehen,
unser ganzes inneres Sein einem nur mit gewollt-bewusster
Rechenschaftsablage funktionirenden Intellect angehören,
was doch nicht der Fall ist! — sondern als Theilhaber
an dem Ich bekommt er in diesem und durch dieses indirekt
von der Seele, indem bis dahin unbewusste Vorgänge ins
Bewusstsein gehoben werden, als Resultat zu wissen, dass
neben ihm gleichzeitig noch ein anderes Erkenntnissorgan
besteht, welches ihm in metapbysicis Concurrenz macht.
Natürlich steht es dann in seinem selbstbewussten und
selbstgewollten Belieben, sich ablehnend oder zustimmend
diesen seelischen Mittheilungen gegenüber zu verhalten.
Denn selbstverständlich haben letztere vor seinem kritischen
Richterstuhle nicht ohne weiteres Recht. Der Geist muss
Stellung zu ihnen nehmen, muss sie erst auf ihr mögliches
Berechtigtsein hin untersuchen, wird ihnen hierbei aber
freilich, wenn er ein vorurteilsloser, gerechter Richter ist,
in den meisten Fällen aus „guten Gründen" die vollste
Berechtigung einräumen müssen. Denn er vermag sie weder
zu widerlegen, Loch kann er etwas Gegenteiliges als besser .
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