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Wittig: Wer von uns ist heute spiritistisch krank? 105
Er sagt: — „ßu Prel lehrt nämlich, dass gewisse Traumzustände
, sowie die Erscheinungen des Somnambulismus uns
zu der Annahme drängen, dass wir Menschen ein doppeltes
Ich darstellten. Ausser dem bewussten Ich, als welches wir
uns im Wachen empfinden, existire noch ein 'transcendentales
Ich1, wobei wir indessen nach du Prel's Denkart 'transcendentaP
ohne weiteres mit 'jenseitig' übersetzen können.*) Dieses
jenseitige Ich komme in uns nur in gewissen abnormen
Zuständen, in Träumen, im somnambulen Zustand und auch
im Wahnsinn zur Erscheinung. Es trete dann aus der
jenseitigen Welt in unsere körperliche Daseinsform ein.
Wenn wir z. B. träumen, wir sässen im Schulexamen,
würden etwas gefragt, auf das wir uns absolut nicht besinnen
, und durch keinerlei Anstrengung fänden wir die
Antwort; wenn wir dann weiter träumen, dass plötzlich ein
Anderer sich neben uns erhebt, welcher die richtige Antwort
zu unserem Erstaunen auaspricht: so nennt du Prel dies eine
'dramatische Spaltung des Ichs im Traume', weletfe uns
zu der Annahme eines doppelten Ichs in uns drängt. Denn
thatsächlich sind ja wir es doch, welche einestheils nicht
wissen, anderntheils dasselbe wissen, was wir nicht zu wissen
scheinen; der Andere, der sich erhebt, sind ja doch wir
selbst. Man sollte nun glauben, du Prel müsse wie jeder
schärfer denkende Kopf gerade aus einem solchen Traume
schüessen, dass es nur ein Ich geben kann, denn das wäre
die richtige logische Consequenz; da du ^Prel aber eine
Untersuchung des Ichbegriffs niemals ernstlich vornimmt, so
kann er wohl einen rein funktionellen Vorgang der Phantasie
(nicht des Ichs) mit dem Ich fortwährend verwechseln und
von der 'Spaltung' einer Einheit reden, die in diesem Sinne
gar nicht vorhanden ist. Erfahrungsgemäss stellt sich die
Sache so dar, dass wir zum Bewusstsein eines 'Ich' nur im
Wachen gelangen. Der Traum, welcher als eine ungeregelte
Thätigkeit unseres Hirns erscheint und eben deshalb jede
im Wachen gewonnene Vorstellung und Gewohnheit, wie
z. ß. die, dass wir uns als 'Ich' bezeichnen, in sein regelloses
Spiel verwickelt, kann diesen gewohnheitsmässigen Begriff
auf jede Function unserer Seele übertragen. Wie wir schon
im Wachen sagen: ich esse, ich trinke, ich gehe spazieren,
ich wundere mich, ohne deshalb zu schliessen, dass wir
vier oder fünf Ich besässen, so setzt der Traum dieses
Spiel fort in ungeregelter Weise, wo eben das Bewusstsein
*) Das bestreite ich. „Transcendent" ist nicht identisch mit
„transcendentat." Man vei gleiche meine Auseinandersetzung hierüber
„Psych. Stud.« Februar-Helt 1885 S. 82 ff. — Der Beferent.
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