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106 Psychische Studien. XV. Jahrg. 3. Heft. (März 1888.)
schwindet, dass derjenige, welcher sagt: — 'ich esse',
derselbe sei, welcher sagt: — 'ich trinke'. Einzig aus dem
Mangel dieses vergleichenden Bewusstseins, welches die
Functionen unserer Seele und unseres Körpers auf eine
Einheit bezieht, erklären sich diese sogenannteu dramatischen
Spaltungen. Du Prefs Logik ist nun aber thatsächlich auf
dem Punkte angelangt, wo man die Thätigkeit eines
•Ich' mit dem Ich selbst verwechselt. Wenn es heisst: —
'ich esse' und 'ich gehe spazieren', so ist das der äusseren
Erscheinung nach sehr zweierlei. Dennoch wird dies
Zweierlei der Thätigkeit (Functionen) auf eine Einheit,
'Ich', bezogen, und das Wort 'Ich* bezeichnet diese Einheit.
— Wenn nun 'Ich' wirklich das Wort ist für die Einheit
vieler Thätigkeiten, so kann dieses Ich niemals eine
Zweiheit sein, d. h. es kann kein transcendentales 'Ich'
geben, so sicher, als Eins nicht Zwei ist. Wenn du Prel
dennoch das, was man etwa die unsterbliche Seele
nennt, mit dem Namen 'Ich' bezeichnet, so braucht er ein
falsches Wort, und falscher, dilettantischer Wortgebrauch
ist es nicht zum wenigsten, welcher diese ganze Philosophie
erst ermöglicht. Was einmal so unklar beginnt, kann auch
nur unklar enden. So meint du Prel, dass die Liebe zweier
Menschen nichts anderes sei, als das Hereintreten eines
dritten transcendentalen Ich (des Kindes) in die empirische
Welt, welches sich der beiden 'Ichs' von Vater und Mutter
bedient zu dem Zwecke, auf die Welt zu kommen. Du Prel
vergisst aber dabei, dass Vater und Mutter zu ihren diesseitigen
Ichs, welcher sich das Kind bedient, nach seiner
Theorie noch jedes ein transscendentales Ich, ein jenseitiges
Ich besitzen, und er bleibt uns die Antwort schuldig, was
nun diese transcendentalen 'Ichs' dazu sagen, dass ein anderes
vorläufig transcendentales Ich von ihnen Besitz ergreift.
Besondeis wenn der Fall eintritt, dass ein Paar 25 Kinder
hat, von denen aber 13 früher oder später sterben, welches
in Summa 54 transcendentale und empirische 'Ichs' ergiebt,
welche zu einander in Beziehung treten, liegt die Frage nahe,
wozu so viele überflüssige Ichs durch einander schwärmen.
Wir gestehen, dass die ältere Theorie, dass der Storch die
Kinder bringe, uns bei weitem philosophischer erscheint, als
die wunderliche Multiplikation des Ichbegriffs, welche die
'Philosophie der Mystik' und ihre Metaphysik der Liebe
enthält. — Man sieht aber wohl sofort ein, wie eine solche
Verwechselung der Begriffe, vor der Kant ausdrücklich
warnte, jeden Unsinn im Gefolge haben muss. Denn nun
ergiebt sich, dass alles Wunderbare, was hienieden auf
Erden geschieht, im transcendentalen Ich seine Erklärung
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