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188 PsyoMsche Studien. XV. Uhrg. 4. Heft. (April taS8).
über zwei Ofenplatten etwas schwankend stand und so diese
Täuschung hervorgerufen haben konnte. Aber dieser
physikalische, mit einer so starken Illusion verbundene
Vorgang, welcher bei meinem Hinhören alsbald verschwand,
sollte sich bald in volle Wirklichkeit verwandeln. Nach
9 Uhr erhielten wir die Todes-Depesche. Ich lauschte bis
dahin vergebens auf einen Kanonenschuss; Glockengeläut
hatte ich nicht sofort erwartet. Erst um 12 Uhr Mittags
läuteten in Leipzig und ganz Deutschland alle Glocken dem
hinübergeschiedenen Vater des Vaterlandes am Freitag vor
Sonntag Laetare in die Ewigkeit nach.
b) Ein seltsamer Traum. — In der Nacht vom
21. zum 22. September 1820 träumte dem Bruder des
grossen Schauspielers Talma, er stiege die Stufen zur Kirche
des heiligen Rochus in Paris hinan. Am schwarzbehangenen
Portale trat der Schweizer zu ihm und sagte, in der Kirche
fände die Einsegnung einer Leiche statt. „Wer ist gestorben
?" — „Madame Dugazon" (eine berühmte Collegin
Talma's). In demselben Augenblicke kam der Leichenzug
aus dem Thore, — und der Schläfer erwachte. Dies war
um drei Uhr Morgens. Der Traum quälte Talma, er konnte
nicht wieder einschlafen und erhob sich daher sehr zeitig.
Als ihn sein berühmter Bruder zum Frühstück besuchte,
theilte er ihm das Traumbild mit. Talma lachte ihn aus.
Aber sie hatten sich noch nicht vom Tisch erhoben, als ein
Mitglied des Theatre fran$ais eintrat, der Talma entgegen -
riet: — „Ich suche sie schon seit einigen Stunden!" —
„Weshalb ?" — „Haben Sie etwa schon vernommen —?" —
„Was?" — „Die Dugazon ist heute früh gestorben!" —
Talma erbleichte und sprang auf. „Und wann soll dies geschehen
sein ?" — „Um drei Uhr." („Schorer'n Familienblatt"
Nr. 9 1888 S. 144.)
c) Der Herzog von Broglie schrieb in seinem 70. Lebensjahre
im Vorworte zu seinen „Erinnerungen"*) folgende
echt spiritualistische Gedanken: — „Ich liebe das Leben
und die Cultur. In der Kindheit, wie in der Jugend und
dem reiferen Alter habe ich mich des Lebens gefreut und
thue dies in vorgeschrittenen Jahren noch mit der tiefsten
Dankbarkeit. Ich bedaure nichts von dem, was mir die
Flucht der Zeit nach einander genommen; ich fühle, dass,
wenn man lange lebt, man schliesslich mehr gewinnt, als
verliert, und dass, wenn man weiss, sein Alter und seine
Zeit recht zu erfassen, der innere Mensch in dem Maasse,
*) »Souvenirs, 1785—1870, du feu Duc de Broglte?. 4 vol. (Paris,
1886.) '
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