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190 Psychische Studien. XV. Jahrg. 4. Heft (April 1888.)
„Zu den menschlich schönsten Zügen HebbePs, ein warmes
Gemüth offenbarend, gehört seine schwärmerische Neigung
zu den Thieren, Schon im ersten Bande der „Tagebücher"
übt die Geschichte seines kranken Hündchens, das er,
selbst arm und krank, während seiner Fussreise von München
nach Hamburg auf den Armen trug und wie ein Kind
pflegte, eine ergreifende Wirkung aus; im zweiten Bande
nicht minder die Beschreibung des Todes seines Eichkätzchens
. Er theilt eine Menge Züge mit, die er dem an-
muthigen Thiere abgelauscht, und beschreibt in Ausdrücken
heftigen Schmerzes seine Krankheit und sein Ende. 'Wieder',
so hebt er an, 'etwas vorüber}, und diesmal etwas Himmelschönes
, das so nicht wiederkehrt! Wen die Gattung für
das Individuum zu entschädigen vermag, der ist gegen jeden
Verlust gedeckt; ich kenne keine Surrogate, ich liebe das
Individuum, und dieses Thier war so einzig, dass es Jedermann
wie ein Wunder vorkam, und mir wie eine Offenbarung
der Natur. Ich glaube jetzt an den Löwen des
Andronicus, an die säugende Wölfin der Römer, an die
Hirschkuh der Genoveva^ ich werde nie wieder eine Maus
oder auch nur einen Wurm zertreten, denn ich ehre die Verwandtschaft
mit dem Entschlafenen, sei sie auch noch so
entfernt, und suche nicht bloss im Menschen, sondern in
allem, was lebt und webt, ein unergründliches göttliches
Geheimniss, dem man durch Liebe näher kommen kann.
So hat dieses Thier mich veredelt und meinen Gesichtskreis
erweitert; wenn ich nun aber gar die Unsumme von Freude
und Heiterkeit aufzählen sollte, die es für seine paar Nüsse
und seinen Fingerhut voll Milch ins Haus brachte, so
würden wir wie arme Schacher dastehen, die ihre Schuld
nie bezahlen können'." — Dass Hebbel um diese Zeit (1850)
nicht ein blosser Enthusiast und überspannter Thiernarr
war, ergiebt sich aus der gleichzeitigen Schilderung seines
überaus glücklichen Familienlebens mit der gefeierten Tragödin
Christine Enghaus vom Wiener Burgtheater. „Zwischen
Frau und Tochter patriarchalisch-würdevoll oder stillvergnügt
wandelnd, das war sein Leben. Jeder Tag war
ihm eine Art von Fest, Geburtstag und Weihnachten der
Glanzpunkt des Festes. Denken und dichten, im Kreise
der Seinen und einiger Freude sinnige Gespräche, die von
seiner Seite eigentlich Monologe waren; mehr verlangte und
wollte er nicht. Zur Mittheilung aber, zur mündlichen,
weniger zur schriftlichen, drängte ihn seine Natur, und je
verschlossener er über die Schicksale der Vergangenheit
war, um so mehr Bedürfniss war es ihm, sich durch Gespräche
der Last der Gedanken zu entledigen. Der kraft-
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