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224 Psychische Studien. XV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1888.)
kräftc zu Tngc treten lässt, die wir als Leiden empfinden.
Nun giebt doch Gott dem Menschen einen Wegweiser für
das Leben mit, der sich als Gewissen ankündigt, wenn
wir eine verfehlte Bahn betreten ; eine innere Stimme mahnt
uns, Recht an sich selbst und an Anderen zu üben, und
wahrlich, wenn die Menschen dieser Gottes-Stimme folgen
würden, die Leiden der Welt wären nicht so gross, als sie
es leider sind. Daraus geht doch hervor, dass sie eine
Krankheit bezeichnen, welche die Menschen beheben könnten,
wenn sie nur ernstlich wollten. Darum müssen die Bildner
des Volkes bestrebt sein, den Menschen die wahre Quelle
ihres Elendes zu zeigen, das Abweichen von der
Gerechtigkeit gegen sich wie gegen Andere; es ist dem
Volke klar zu legen, wie in unserer Seele die Kräfte wirken,
wie sie selbst als Feinde gegen unser eigenes Wohl in uns
auftreten können, wenn wir ihren Begehrungen nicht verständige
Grenzen setzen.
Die Welt, wie sie sich auf unserer Erde zeigt, ist nur
deshalb ein so gewaltiges Jammeithal, weil die Erkenntniss
Gottes noch in sehr geringem Grade entwickelt ist; weil
die Menschen in Wirklichkeit noch auf einer sehr einseitigen
Geistesstufe stehen, wenn sie den Verstand nur zum Erkennen
des Details der Natur und zum Erwerb irdischer
Güter, von Ehren und Macht verwenden, ohne sich über
das Verhällniss zu dem über das Grab hinüberreichenden
selbstbewussten Leben zu bekümmern, in welchem das
Leidensconto seine Au*g]jichung finden muss und finden
w*rd. Die Gottes-Idee soll der Menschheit geläufig werden;
nicht mit den Lippen, sondern mit den Herzen der Menschen
soll Gott bekannt werden; und möglich könnte das werden,
wenn die Naturwissenschaft ihre Lehren auf die Wesenheit
des unendlichen Raumes stützen würde. Man spreche es
nicht voreilig aus, dass solch' eine Naturwissenschaft kopfhängerische
Menschen schaffen möchte und diese in einen
geistigen Bann der Abhängigkeit von geistlicher Gewalt
gerathen müssten, wie er etwa im Mittelalter bestand! Man
behaupte nicht sclilcchtweg, die Aufklärung und der Gottesglaube
seien ein mal einander entgegengesetzt, ein Volk
von Gebildeten könne niemals mehr an einen Gott in solcher
Weise glauben, dass dieser auf das menschliche Leben einen
Einfluss neime, — sondern überlege ohne Vorurtheil,
was der Universalismus bietet, und ich glaube, man wird
finden, dass Aufklärung, Fortschritt in der
Naturwissenschaft und der Glaube an ein
selbstbewusstes Fortleben nach dem Tode des
physischen Leibes in einer ätheren Welt,
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