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Wittig: Magnetismus contra Vivisektion.
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„Es hat manches Jahr gedauert, ehe ich an der Haud der
Erfahrung dahin gelangte, mit den Dogmen der alten Medizin
zu brechen. Als ich anfing, waren die Chirurgen so messerscheu
gegenüber den Carcinomen geworden, dass manche
von ihnen überhaupt nicht mehr derartige Geschwülste
operiren wollten, andere wenigstens die grössten Reserven
machten. Meiner Anschauung gemäss trug ich kein Bedenken,
der früheren Operation das Wort zu reden. So lange eine
Neubildung sich noch als eine solitäre erweist, darf die
Hoffnung auf einen glücklichen Verlauf auch bei den gc-
fürchtetsten Arten der Neubildung nicht ganz aufgegeben
werden. So lange man die Ueberzeugung festhalten darf,
dass es sich um einen wesentlich localen Vorgang handelt,
wird es gewiss gerechtfertigt sein, unter allen Verhältnissen
dessen Beseitigung zu versuchen. In diesem Sinne wirkte
ich stets auf die mir befreundeten Operateure ein, so
namentlich auf Karl Mayer, Albrecht von Gräfe und B. von
Langenbeckf und es gelang mir, sie zu ausgiebigen Operationen
auch bei ganz jungen Geschwülsten maligner Art zu bestimmen
. Jetzt ist das fast antiquirte Weisheit. . . Jeden-
falis hat dieser (von den Chirurgen angenommene) Glaube
die gute Folge gehabt, dass immer früher operirt wird, und
dass die Zahl der operativ geheilten Fälle immer mehr
zunimmt. Auf die Statistik der Krebsoperationen
möchte ich hier nicht eingehen. Man muss leider zugestehen,
dass damit noch nicht 'viel Staat zu machen ist7. . .
(2. Beil. z. „Leipziger Tagebl." Nr. 8 v. 8. Januar 1888),
Eigene bittere Familien-Erfahrung hat den Referenten
nur zu bald belehrt, dass Ausschneiden und galva.no-
kaustisches Wegsengen vom Oarcinom inficirter Theile nichts
helfen. Ein auf diese Weise (ähnlich wie durch Gift) ganz
zerstörtes Organ kann doch niemals als ein wirklich geheiltes
gelten. Die alte Heilkunst war in diesem Punkte doch
wohl vorsichtiger! —
Virchow selbst verschliesst sich diesem mahnenden
Gewissens-Bewusstsein nicht. Er sagt weiterhin in derselben
Abhandlung: — „An sich ist das Oarcinom keine Dauergeschwulst
. Seine Zellen haben vielmehr in ausgemachter
Weise einen hinfälligen Oharacter; sie sind nur zu einer
beschränkten Lebensdauer angelegt und verfallen nach einer
relativ kurzen Zeit ganz von selbst rückgängigen Metamorphosen
. Könnte man diese Metamorphosen sofort über
alle Theile des Krebses ausbreiten und den Nachwuchs
accessorischer (nach und nach hinzutretender) und metastatischer
(veränderter) Knoten hindern, so wäre die definitive
Heilung sicher. Von Zeit zu Zeit werden einzelne Fälle
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