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Wittig: Wer von uns ist beute spiritistisch krank? 255
graphiren" eine absurde Behauptung und vertheidigt
doch diese Absurdität am Schlüsse obigen Satzes selbst in
einem gewissen Sinne» Was noch irgend einen Sinn hat,
kann doch wohl nicht so ganz absurd sein. Sollte der erste
Urheber dieser vermeintlichen Absurdität nicht vielleicht
doch eine andere Meinung damit verknüpft haben, als seine
Gegner ihm unterschoben, bloss um seine ihnen gefährlich
erscheinende Ansicht lächerlich und dadurch möglichst unwirksam
zu machen?
Wenn ich mich z. B. in dunkler Nacht vor einer
plötzlich auftauchenden Vogelscheuche im Felde fürchte
und sie für einen unheimlichen Geist halte, so habe ich
doch ein wirkliches Sehobjekt verbunden mit einer Illusion
oder sogenannten Geisthallucination vor mir. Photographire
oder beschreibe ich dieses scheinbare Gespenst, so photo-
graphire oder schildere ich in Wirklichkeit zwar nur die
wirkliche Vogelscheuche, aber ihr im Dunkeln verschwommenes
Aussehen verleiht ihr auch in der Photo- „
graphie und in meiner Schilderung noch für mich den
illusionären Eindruck eines ungeheuerlichen Gespenstes.
Wenn wir zu Weihnachten den Freund und Schrecken der
Kinder, Ruprecht, mit allen seinen Symbolen ausgestattet in
Bildern vor uns erblicken, so sehen und suchen wir in ihm
weniger die wirkliche Gestalt, die ihn repräsentirte,
sondern vorwiegend nur die symbolische Gestalt. So
ähnlich ergeht es uns mit sogenannten Geisterphoto-
graphien. Wir sehen in deren Erscheinung etwas hinein,
was die der Erscheinung wirklich zu Grunde liegende
vermummte oder verschleierte Gestalt fast vollkommen
verdeckt. Und nun würde man freilich Denjenigen, welcher
nur die wirkliche, dem Ruprecht zu Grunde liegende Gestalt
suchen, und nicht den symbolischen Ruprecht in ihm sehen
wollte, für geistesbeschränkt oder von hausbackenstem Verstände
und der schönen Märchenwelt der Kindheitsträume
vollständig entrückt erachten. Wir geben uns eben dabei
einer bewussten Illusion absichtlich hin, ganz so wie bei
der Leetüre von Märchen und beim Zuschauen in Theaterstücken
und Opern. Aehnlich könnten wir als Gläubige
es ja wohl bei Geisterphotographien machen.
Aber bei ihnen wird neuerdings behauptet, die sinnliche
Erscheinung derselben sei eine wirklich leibhaftige
Geistgestalt und keine bloss vermummte irdische, oder eine
nur hallucinatorische und visionäre. Sonst stellte man sich
einen Geist nach Lukas XXIV, 39 als „ohne Fleisch und
Bein" vor, als eine nicht wirklich, sondern nur scheinbar
sinnliche, bloss hallucinatorisch-illusionäre oder bestenfalls
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