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Prof. Schlesinger: Die geistige Mechanik der Natur. 321
Raumes selbst festgestellt; es ist aber gar kein
Grund einzusehen, dass sieh diese intelligente
Macht so beschränken musste, dass sie nur in
ihren selbst gewollten und selbst geregelten
Beschränkungen allein wirksam wäre, und dass
ihr höheres Können unbenützt bliebe; es ist
vielmehr doch einleuchtend, dass auch ihr
höheres Können als Leitung des geistigen
Lebens in Wirksamkeit tritt.
Demgemä8S haben wir uns vorzustellen, dass zwar
Gottes Macht aus dem Kraftvolumen p heraus nach gesetz-
mässiger Weise intelligent wirkt, dass aber, wenn es Gott will,
er aus dem Kraftvolumen p heraus auch nach seinem freien
Willen wirken kann. Wenn dann p einen Weg einschlägt,
um auf andere Kräfte Einfluss zu nehmen, so sind von da
an die Causalgesetze wie gewöhnlich wirksam, und es besteht
nur der Schein, als hätte gar kein Einfluss durch Gottes
freie Macht stattgefunden.
Wissenschaftlich ist es sonach vollkommen möglich,
dass Gottes freies Wollen in die Kräfte der Natur eingreift.
Soweit jedoch die Erfahrungen vorliegen, sind die freien
göttlichen Eingriffe nur auf die höheren Lebenskräfte der
Seele und auf den Geist beschränkt. Wenn man nun auch
wissenschaftlich die Möglichkeit eines freien göttlichen Eingriffes
in die Lebensgeschicke zu erkennen vermag, so darf
man doch nicht gleich wieder so weit in den Folgerungen
gehen und alles Geschehen als durch einen unmittelbar frei
gewollten göttlichen Eingriff entstanden denken. Schon
jener Grad von Intelligenz, welcher gesetzmässig aus einer
Kraft p fliesst, besitzt innerhalb gewisser Grenzen eine
Freiheit, nämlich nach Gründen handeln zu können, selbst
wenn die Triebe anderer Kräfte dagegen sind, und aus
dieser begrenzten Freiheit folgen schon zahlreiche Wirkungen,
welche wir fälschlich als Gottes freien Eingriff bezeichnen
könnten. Das wahre freie Eingreifen Gottes zu erkennen,
dafür haben wir bis nun keine positiven Anhaltspunkte und
werden wir stets auf ein Vermuthen angewiesen sein, das
wohl öfter das Richtige treffen wird.
Gegen das freie Eingreifen der göttlichen Macht in das
menschliche Leben wird überaus häutig, wie schon angedeutet
wurde, das Argument vorgebracht, dass, wenn es wirklich
einen Gott gäbe, derselbe doch unmöglich soviel Elend auf
der Erde bestehen liesse; ein gerechter, ein liebevoller Gott,
der die Macht besässe, alle Menschen zum Guten zu leiten:
wie könnte der den unsäglichen Jammer ertragen, der laut
Peychisohe Stadien. Juli 1888.
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