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326 Psychische Studien. XV. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1888.)
Lebens sicli sehr vermindern; das irdische Leben würde in
grösserem Maasse, als es jetzt geschieht, zur Freude und
nicht zur Qual der Menscheit sich vollziehen.
Wie jetzt die wissenschaftlichen Verhältnisse in der
abendländischen Cultur liegen, ist die Naturwissenschaft
in inniger Wechselbeziehung zum praktischen Leben. Daher
stammt das Bedürtniss, dass Volk im Grossen und
Ganzen auch mit den Gesetzen der Natur vertraut zu
machen, naturwissenschaftliche Bildung allenthalben zu
vorbreiten. Nachdem aber der Materialismus keine Stelle
in seinem Wissensgebäude findet, wo er einen Gottesbegriff
einsetzen könnte; nachdem er alles Geschehene auf Eigenschaften
der Materie zurückführt, sich aber um die Ursache
der Materie und ihrer Eigenschaften gar nicht kümmert:
so wird alle Thätigkeit in der Natur als Folge einer blinden
unabweislichen Nothwendigkeit hingestellt, und Gebildete
und Halbgebildete bis zum Ungebildeten herab läugneu
Gottes Existenz. Oder v/o sie Gott nicht läugnen, gestehen
sie doch Gott keinen Einfluss auf das menschliche Leben
zu, was praktisch von der Gottes - Läugnung nicht viel
verschieden ist. Der Mangel eines Gottesglaubens und des
Glaubens an ein selbstbewusstes Fortleben nach dem
irdischen Tode, mit den moralischen Folgen des irdischen
Lebens, befördert den praktischen Materialismus, der
dann in seinen wüsten Bemühungen um irdische Güter die
Sitt'ichkeit der Völker aufs tiefste schädigt. Welche Vorkehrungen
sollen da helfen?
Vergebens wird der Kampf um confessionelle Schulen
gekämpft, um die Jugend im Gottesglauben zu erziehen;
dieser Glaube muss aus einem der Menschheit gemeinsamem
Boden erspriessen, und diesen Boden kann nur eine vorur-
theilsfreie Naturwissenschaft bieten. Der Gottesglaube muss
ein gemeinschaftlicher werden; der Gott der Christen kann
kein anderer sein , als der irgend eines nicht christlichen
Glaubensbekenntnisses: es giebt nur einen Gott. Der
Gottesglaube muss sich steigern; er muss dem Wissen
weichen, dass Gott besteht. Und er kann zum Wissen werden,
wenn wir Gott im unendlichen Wesen des Raumes erkennen.
Ein mächtiger Umgestaltungs - Prozess muss sich in der
Naturwissenschaft vollziehen, und er ist bereits im Gange.
Die wunderbaren Resultate der Forschung, welche die
medizinischen Schulen zu Paris und Nancy auf dem Gebiete
des Hypnotismus erzielen, müssen die materialistische Ansicht
vom Wesen der Kräfte unausbleiblich erschüttern, und dies
wird sicherlich zur Anerkennung führen, dass alle Kraft
nur dem Räume entstammt, und dass selbst die Intelligenz
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