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Kurze Notizen. 335
zu greifen und eine dicke, manchmal mehr als meterlange
Schlange hervorzuholen. Der Aissaua oder Issaurva, wie der
Angehörige des Ordens heisst,*hält das Thier gerade in der
Hand, um es zunächst tüchtig zu reizen, dass die grünen
Aeuglein zu sprühen scheinen und die Doppelzunge weit
hervorschnellt. Er legt sich die Schlange um den Hals,
schlingt sie als Diadem um die Stirne, wirft sie auch wohl
zur Erde und versetzt ihr einen unsanften Tritt. Die Schlange
geräth hierüber in wilden Aufruhr, muss aber bald ermattet
den ungleichen Kampf aufgeben. Tritt dieser Fall ein,
dann öffnet der Schlangenbändiger seinem Opfer den Rachen,
zwängt ein kurzes Eisenstäbchen senkrecht auf beide Kiefer,
so dass es diese nicht schliessen kann, und hält das Thier
den Zuschauern hin, um ihnen die Giftzähne zu zeigen. Ist
diese Vorstellung zu Ende, dann schwenkt der Bändiger
das Thier mehreremale hin und her, bis es förmlich betäubt
ist, und lässt dann dessen Schwanzende in seinen
Mund gleiten, um seine Production mit einer
echten Schlangenmahlzeit zu beschliessen.
Andere pflegen dem Thiere noch, während es sich gereizt
zur Wehre setzt, ein Stück aus dem Genicke herauszureissen
und dieses hinunter zu schlucken. Es ist ein wahrhaft
thierischer Anblick. Aber für das Volk ist diese Tollhäuselei
gewissermaassen ein religiöser Akt. Das Schlangenfressen
ist übrigens in ganz Nordafrika zu Hause, und selbst im
vorgeschrittenen Aegypten kann man Scenen dieser Art
sehen. — Richardson sagt, dass die gewöhnliche, von den
Aissaua benutzte Schlange die 'Cobra eapella' sei; aber
auch andere sehr giftige Arten benutzen sie, was unter
Anderem der Franzose Narcisse Coite bestätigt, der 1857
Marokko bereiste. Beide Hessen Versuche an Thieren
(z. B. Kaninchen) mit den von den Gauklern benutzten
Schlangen machen, und in beiden Fällen verendeten die
gebissenen Thiere, so dass über die Giftigkeit der
Schlangen kein Zweifel herrschen kann." — Allerdings
könnte man noch einwenden, dass die doch vorher gereizte
und in ein Eisenstäbchen oder in sonst einen Gegenstand
beissende Schlange ihre Gifttropfen in den Giftbläschen
verliere und längere Zeit brauche, solche neu zu sammeln,
also, in dieser Zeit verspeist , nicht mehr oder in den verzehrten
Theilen überhaupt nicht giftig sei. Auch ist nicht
gesagt, dass der Kopf und die Giftdrüsen (nur ein Stück
aus dem Genick!) mit verzehrt werden. Indess steht doch
jetzt durch die angegebenen Gewährsmänner, zu denen sich
auch A. von Schweiger-Lerchen feld (April-Heft 1888 S. 184 ff.)
gesellt, so viel fest, dass wirkliche Schlangen zur Verwendung
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