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Kurze Notizen.
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die Krone erringen, ohne ein Quentlcin von dem Bewusst-
sein zu verlieren, die reine evangelische Lehre gewahrt und
vertheidigt zu haben. Es war in der That kein grosses
Kunststück, bis zum 70. Verse eine Weissagung aufzubauen.
Unsere Geschichte lieferte dem verkappten Propheten Mittel
genug. Das aber, was später kommen soll, wird sich erfüllen,
ohne dass uns die Seher davon erzählen." — Aber doch
auch mit ihnen! Und nun behauptet unser Anonymus frisch
weiter: — „Bei jedem Unglücksschlag, welcher Preussen und
das Hohenzollernhaus betraf, ja noch jüngst, zur Zeit des
Culturkampfes, wurde die Prophezeihung hervorgezogen und
tendenziös auf die neuen Ereignisse bezogen. Allerdings
ist nichts von dem Theile der Prophezeihung
eingetroffen, der die Geschicke derjenigen
Hohenzollern behandelt, welche dem Grossen
Kurfürsten folgten." — Wir trauen unseren Augen
kaum über diese edle Dreistigkeit des Anonymus, während
er doch selbst „verschiedene deutsche Uebersetzungen und
zahlreiche Erklärungen der Weissagung" erwähnt, die, wenn
er sie wirklich auch nur theilweise eingesehen hätte, ihn
schon eines Besseren hätten belehren können. Und beweist
nicht gerade seine eigene Behauptung, dass des Domküsters
Flörcken an St. Nicolai in Berlin, eines durch seine „Visionen"
bekannten „Propheten", Gegenprophezeiung, durch
einen Verwandten Hainno Flörcken, Kanzlei-Aktuarius in
Tangermünde, veröffentlicht, welche dem Herrseherhauso. im
Gegensatze zum alten lateinischen und mehr der geschichtlichen
Wirklichkeit entsprechenden 'Vaticinium1, nur lauter
Glan? und Glück verkündete, die schlagendste Widerlegung
der Annahme liefert, dass eben dieser FlÖrcke im geheimen
Bunde mit dem katholisirenden Kanonikus von LeUmeritz
gewesen sein könnte? Das Gedicht besteht aus hundert
leoninischen Versen (gereimte Hexameter und Pentameter),
welche allerdings auch 400 Jahre (ins Jahr 1234) zurück-
datirt sein könnten, wenn es nicht altes Mönchslatein wäre,
das wohl schwerlich den lutherischen Consistorialrath und
Probst zu St. Petri, Andreas Fromm, der 16GÖ wegen seiner
fanatischen Polemik gegen die Reformirten seiner Aemter
entsetzt wurde und erst 1688 nach Prag ging und dort
katholisch wurde, zur mühseligen Nachahmung begeistert
haben könnte. Wir müssten doch entschieden vorerst die
übrigen Schriften dieses Mannes keimen, um einen solchen
Schluss zu wagen. Unser anonymer Aufklärer sucht im
Bunde mit allen früheren, welche die Echtheit des Ursprungs
aus dem Munde oder der Keder eines wirklich prophetischen
Mönches bestreiten , im Grunde genommen nur gegen die
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