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416 Psychische Studien. XV. Jahrg. 9. Heft. (September 1888.)
ihm vorübergesegelt sei... ohne Zweifel sei der Unbekannte
in jenem Schiffe verborgen gewesen. Er habe nichts weiter
hinzuzufügen. „Der Dr. Marrande erhob sich uud murmelte:
'Ich auch nichts. Ich weiss nicht, ist dieser Mann verrückt,
oder sind wir es alle Beide . . . oder ... ist unser Nach-
folger wirklich erschienen'?" ...--
Wenn wir Alles in Allem nunmehr ganz genau erwägen,
möchten wir das Letztere nur dann glauben, wenn das
Vorhergehende mit dem Ersteren wahr wäre; die Geschichte
kann als Krankheitsbild des sogenannten Verfolgungswahns
wahr, aber sie kann auch erfunden sein im Stile des durch
solche Grauel-Geschichten berüchtigten Poeten Edgar Poe,
oder der neueren Herren Besant und Rice*) Auf einen
wesentlichen Punkt hat Referent schon in einer Klammer
hingedeutet — Selbstbeobachtung allein gilt hier nichts.
Und hat Dr, Marrande durch seine Reise an den Thatort
etwa zur Aufklärung dieser Fälle etwas Wesentliches beigetragen
? Hat er das Zimmer und die Spiegelstellung
genau untersucht, oder bleibt dies dem Scharfsinn des
Lesers überlassen? Ist ein Fluszsumpffieber im Stande,
derartige Hallucinationen zu bewirken? Können Wasser
und Milch im somnambul-erregten Zustande nicht einfach
zum Fenster hin ausgegossen, ohne getrunken worden zu sein?
Ein Böttcher meiner Bekanntschaft in Leipzig, welcher dicht
an der Pleisse wohnt, hat am heilen Tage, zur Thür seiner
Wohnung hinaustretend, plötzlich gesehen, wie ein Nachbar,
der zur Zeit gar nicht anwesend war, ihm einen Haufen
Sägespähne vor die Füsse geschüttet habe. Als er dieselben
durch seine Frau augenblicklich weggeräumt wissen wollte,
waren keine solchen vorhanden ! Kaum vier Wochen darauf
lag er mit jenem Nachbar in schwerem Prozess wegen
thätlichen Angriffs auf ihn selbst und schwerer Beleidigungen
der Ehre seiner Frau durch letzteren. Dergleichen Vorgänge
, Vorahnungen, Vorgesichte giebt es wohl, — aber
unser Nachfolger ist es nicht, sondern eher der Vor- und
Mitgänger, der Schattenwurf gleichsam oder die von
selbst vor- oder mitklingende Saite unserer eigensten
innersten Gemüthserregungen oder Seelenstimmungen.
Geschrieben im September 1887.
*) Man vergl. noch „Psych. Ftud." Mai-Heft 1888 S. 235 ff.
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