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Wittig: Giebt es eine Auferstehung des Leichnams etc.? 419
„Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zu Staube
werden wirst!"? —
Es sollte ein für allemal klar gelegt werden, dass selbst
ein so herrlicher und trostreicher Ausspruch, wie ihn unser
grosser Friedrich Schiller dereinst in folgenden Versen niedergelegt
, die Schreiber dieses kürzlich auf einem Grabsteine
des Leipziger neuen Johannis-Friedhofes eingemeisselt fand,
nur bedingungsweise und symbolisch, aber keine buchstäbliche
Geltung haben kann. Der Spruch stammt aus seiner „Glocke"
und lautet: —
„Dem dunklen Schooss der heiFgen Erde
Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann seine Saat
Ur.d hofft, dass sie entkeimen werde
Zum Segen nach des Himmels Eath.
„Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schooss
Und hoffen, dass er aus den Särgen
Erblühen wird zu schönerem Loos." —
Das Gleichniss klingt poetisch herrlich, aber leider —
der schöne Vergleich hinkt. Der Same des Sämanns birgt
ja eben frische Lebenskeime in sich — der in die Erde
gesenkte Leichnam eines Menschen nicht mehr. Aus dem
Samen ersteht unmittelbar an Ort und Stelle ein neuer
Fruchthalm gleicher Beschaffenheit, aus einem verwesenden
Körper erhebt sich niemals aus seinem Grabe ein neuer
Mensch ähnlich dem vorhergehenden. Das stellt ein fi*r allemal
unerschütterlich fest als seit Jahrtausenden beobachtetes
Naturgesetz. Aber etwas Anderes ist es, wenn wir vom
Menschen wie von einem Aohrenhalme noch vor dessen
Vergrabung in die Erde Früchte abfallen sehen mit neuen
Keimkräften. Wenn wir den blossen Halm mit der ausgeleerten
Aehrenhülse mit Dünger vermischt in die Erde
betten, so erwächst doch aus dem blossen Strohhalme niemals
wieder ein neuer fruchttragender Halm. Ein solcher ersteht
nur, wenn wir seinen Samen sän. Und so ähnlich ist es
beim Menschen. Noch vor seinemeTode verliert der Mensch,
wie der Halm die Körner, allmählich seine Wesenheiten,
seine Lebenskraft, seine Seele — sie entfährt ihm vollends
im Tode. Den greifbaren Fruchtkörnern der Aehre können
aber beim Menschen nur etwa seine leiblichen Kinder verglichen
werden. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass seine
scheidende Seele nicht ebenso etwas Wesenhaftes oder
Essenzielles ist, wie der Duft und die Farbengluth einer
Rose während ihres Verblühens. Nur dass dieser wesenhafte
Duft und Farbenschimmer seelischer Handlungen eine lang
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