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476 Psychische Studien. XV. Jahrg. 10. Heft. (October 1888.)
Verlangen, ein einziges Gefühl, alle Seelenkräfte auf einen
einzigen Punkt ; und so treten auch alle Erscheinungen des
Hypnotismus ein: Katalepsie, Hallucinationen, Anästhesie
(unempfindlichkeit) und selbst kapillare Haut-Blutungen
(Stigmata)". — Ferner: — „Die religiöse Ekstase ist nicht
leicht, ja nicht für alle möglich. Zuerst gehört dazu ein
fester, unerschütterlicher Glaube an das Vorhandensein der
Wesen, die man anbetet; dann muss man sich in einem
Zustande der Aufregung, der höchsten Nerven-Empfindlich-
keit befinden, die man in gewöhnlicher Sprache Hysterismus
zu nennen pflegt. Und da das asketische Leben Pasten,
Wachen, Ertödtung jeder Begierde, jedes körperlichen Bedürfnisses
verlangt, so vermehrt die Schwäche die Hyper-
Aesthesie und Reizbarkeit: Hallucinationen, Somnambulismus
Katalepsie wechseln miteinander ab und zeigen uns groteske
oder erhabene Bilder, oft Beides zugleich. Das Volk nennt
diese Thatsachen Wunder, die Wissenschaft erklärt sie durch
die Physiologie des Nerven-Systems." — „Die neuen Entdeckungen
über den Hypnotismus haben auf diesem Boden
neue und weite Aussichten eröffnet. Selbst der 1 Ger ach
der Heiligkeit' ist mehr eine Fabel (?) oder ein Betrug (?):
unsere Haut lässt bei Anfällen von Furcht, Zorn, Liebe
besondere Gerüche ausströmen.*) So giebt es Frauen, welche
nach Veilchen oder Ambra riechen, im erotischen Paroxis-
mus nach Ozon. Nun wohl: in der religiös-asketischen
Ekstase hauchen fromme Frauen bisweilen starke angenehme
Dünste aus, wie die Maria degli Angelt" ~~ Ueber die
heilige Therese und die ehemalige „stigmatisirte" Nonne
Katharina Emmerich zu Dülmen, welche die fünf Wundmale
Christi an ihrem Körper erhielt, bringt er noch weitere
Mittheilungen ähnlicher Art. Die Streitschrift des Medizinal-
rathes Dr. Kar seh zu Münster über dieselbe Nonne im Jahre
1878 dürfte Herrn Dr. Karl Muller, den Herausgeber von „ Die
Natur" in Halle in Nr. 32 vom 11. August 1888 von der
thatsächlichen Anerkennung solcher angeblicher oder
wirklicher Wunder nicht entbinden, selbst wenn er obiges
Werk „als einen wissenschaftlichen Fortschritt" bezeichnet,
„der alte Wunder beseitigt und dafür nur neue tiefere
Wunder der Erklärung anheim stellt." — Als ob diese
neuen, angeblich tieferen Wunder darum nicht noch ganz
ebenso unerklärt blieben, wie die früheren alten Wunder!
Hat uns die Wissenschaft bis jetzt etwa schon den Hypnotismus
erklärt? Sie steht selbst noch ganz erstaunt vor
den ihr so plötzlich aufgegangenen Wundern desselben! Nur
*)Hier fehlt der Hinweis auf Prof. Jäger'* Schriften. — Ref.
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