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Sehen- Thos«: Aus dem Gebiete des Uebersinnlichen. 483
stunden des für meine Abreise festgesetzten Tages verabschiedete
ich mich von Frau v. Takäscy, die mich ersuchte,
im Laufe des Abends noch einmal vorzukommen, um ihrem
Sohne die neuesten Nachrichten über das Befinden der
Kranken mitbringen zu können. Zehn Minuten nach elf
Uhr Abends hielt mein mit vier kräftigen Eilbauer-Pferden
bespannter Reisewagen vor der Thür des Takäcsy'schm
Hauses. Gleich bei meinem Eintreten verkündeten mir die
Thränen der trauernden Familie, dass die Kranke ausgelitten
hatte. Mit dem Schlage elf Uhr hatte sie ihren
Geist ausgehaucht. Ich reiste ab. Die Pferde auf allen
Stationen wechselnd, kam ich am zweitnächsten Morgen
gegen 7 Uhr in dem Städtchen an und trat bei dem jungen
Takäcsy ein, der mit seinem Zuge Husaren in einem ehemaligen
Klostergebäude einquartirt war. Während wir
beim Frühstück sassen, fragte er mich nach dem Befinden
seiner Cousine. Obwohl ich wusste, dass ihn kein besonders
zartes Band an seine Verwandte knüpfte, wollte ich doch
nicht sogleich die volle Wahrheit sagen und bezeichnete
darum den Zustand Phemie's nur als sehr bedenklich.
„Schau, schau", erwiederte er, ,,ich glaubte, sie wäre vorgestern
Abend gestorben." Diese Lucidität machte mir einen
unheimlichen Eindruck, und meine Ueberraschung steigerte
sich, als er mir im Tone der gröbsten Gleichgiitigkeit erzählte
, dass, genau zur Stunde des Todes, am zweit
vorhergegangenen Abend 11 Uhr, Phemie ihm beim Eintreten
in seine Wohnung im finstern Vorflur erschienen sei, mit
einem Schlafrock angethan, die Hände über die Brust
gekreuzt, so klar und deutlich, dass er sie laut angerufen
hatte. Dann war er in sein Zimmer geeilt, hatte Licht
gemacht und mit seinem Offiziersburschen alle Bäume
vergebens durchsucht.
Ich hatte von solchen Fällen — Erscheinung des Bildes
einer aus dem Leben scheidenden Person in dem Momente
des Todes — schon öfter sprechen gehört. Dennoch schien
mir die Sache so unglaublich und zugleich so interessant,
dass ich Takäcsy's Vorschlag bereitwillig aceeptirte, mich
nach dem herrschaftlichen Schlosse zur Grälin SzU.. begleiten
zu wollen, wo mir die Gräfin bestätigen werde, dass
er ihr bereits am Ta ge vor meinem Eintretten Alittheilung
von der gehabten Erscheinung gemacht habe. Ich verzögerte
um einige Stunden meine Weiterreise, und die Gräfin
bestätigte mir wirklich die Aussage meines Freundes. Vor
der Evidenz dieser Thatsache musste mein bis dahin starrer
Unglaube sich beugen, ich musste anerkennen, dass es Dmge
giebt, die, so unnatürlich sie auch scheinen, dennoch factisch
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