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484 Psychische Studien. XV. Jahrg. 11. Heft (November 1888.)
bestehen, mit oder ohne Erlaubniss der Gelehrtenwelt. Ich
bemerke noch, dass es zu jener Zeit weder Eisenbahnen,
noch Telegraphen im Lande gab, dass also Niemand Yor
mir die Todesnachricht nach dem Städtchen gebracht
haben konnte.
Ein B'all ganz ähnlicher Art wurde mir von einer
hochachtbaren, sehr verständigen, aufgeklarten Dame erzählt,
der Baionin Louise Fircks. Sie war die Tochter eines
Leipziger Bankiers, war in Berlin erzogen worden und kannte
von dorther einen jungen v. Brandenstein} der später als
Offizier in der Garde diente. Als ganz junge Leute hatten
sich beide, mehr scherzhaft als ernstlich, das Versprechen
gegeben, dass der Erste von ihnen, der aus dem Leben
schiede, dem Andern Kunde aus dem Jenseits geben würde.
Nun, Brandenstein war der Erste, welcher starb. Kunde
aus dem Jenseits brachte er wohl nicht, wie überhaupt noch
Keiner, seit es Menschen giebt; aber er erschien wirklich
seiner Jugendgespielin im Momente seines Hinscheidens.
Die Baronin lebte mit ihrem Gatten auf dessen Besitzungen
in Kurland, die Wintersaison gewöhnlich in Riga (oder
Mitau) zubringend. Dort war es, wo an einem Winterabend
Baron Firctcs damit beschäftigt war, in seinem Arbeitszimmer
Briefe zu schreiben, die noch in derselben Nacht auf das
Land befördert werden sollten. Seine Frau empfand gegen
10 Uhr eigentümliche Beklemmungen. Ihr Gatte rieth ihr,
sich schlafen zu legen, doch, so furchtlos die Frau auch
sonst war, fühlte sie diesmal eine unüberwindliche Scheu,
allein das anstossende Schlafgemach zu betreten. Erst einige
Zeit später, bewogen durch die Spöttereien ihres Mannes
und durch die Zunahme ihrer Beängstigungen, entschloss
sie sich, zu Bett zu gehen. Kaum hatte sie die Lichter
ausgelöscht, als plötzlich eine weisse Gestalt am unteren
Ende ihres Bettes auftauchte. Frau v. Fircks wollte schreien,
konnte aber nicht Mit grosser Anstrengung gelang es ihr
endlich, einen Schrei auszustossen.
Als hierauf ihr Gatte eilig ins Zimmer trat, war die
Erscheinung verschwunden. Die Baronin hatte abermals
den Spott ihres Mannes zu ertragen, der die Erscheinung
für nichts Anderes als ein Phantasiegebiide erklärte. Seine
Frau Hess sich hiervon nicht abhalten, am nächsten Morgen
den Tag und die Stunde ihres Erlebnisses zu notiren. Zwei
Wochen später erhielt sie die Anzeige von dem Tode
Brandensieiris, der an jenem selben Tage und zur selben
Stunde verschieden war.
Solche Fälle sind mir noch mehrere bekannt, doch
reichen die beiden eben erzählten wohl hin, um die That-
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