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498 Psychische Studien. XV. Jahrg. 11. Heft. (November 1888.)
fältige Untersuchungen der Autoren selbst. Beide Fehler
nun sind in der vorliegenden Arbeit vermieden worden, und
wir stehen nicht an, dieselbe deshalb als eine im besten
Sinne des Wortes Epoche machende Erscheinung zu bezeichnen
.
Schon der erste Abschnitt der Broschüre kann als
mustergültig gelten. Wohl noch nirgends sind die Ergebnisse
der Prüfung der Hypnose auf ihren therapeutischen Werth
hin so umfassend zusammengestellt und so klar gegliedert
worden wie hier. Und wenn wir uns auch im Folgenden
eine gelegentliche kritische Bemerkung erlauben, so sei doch
ein für alle mal betont, dass es in der gesammten Weltliteratur
keine so anschauliche und eindringliche Schilderung
der wichtigen Beziehung zwischen Hypnotismus und Medici
giebt, wie die von Dr. von Schrenck gebotene.
Der Autor berichtet zunächst die von Charcot aufgestellten
Lehren und seine Eintheilung der Hypnose
in die drei Stadien: Katalepsie, Lethargie und
Somnambulismus, wobei er, nebenbei bemerkt, als
Symptom der ersten „flexibilitas cerea" (wächserne
Biegsamkeit), als Symptom der zweiten Hyperästhesie
der Ovarien (gesteigerte Empfindlichkeit der Eierstocksgegend
) angiebt, ohne dass dies unseres Wissens von Seiten
der Pariser Schule behauptet worden wäre.
Auch ist unbegreiflich, wie Charles Richet „ein Vorläufer
und Schüler" Charcofs genannt werden kann, da er sich
doch nie direkt den Arbeiten und Anschauungen der
Salpetriöre angeschlossen hat. Die Ausläufer dieser Richtung,
von Pitres bis zu Descubes, hätten übrigens kaum so ausführlich
besprochen zu werden verdient, da ihre Untersuchungen
ohne genügende Berücksichtigung der lorvirten, d.b. ungewollt
gegebenen und unbewusst aufgenommenen Suggestion angestellt
und ihre Ergebnisse ebenso unzuverlässig sind, wie
die Subtilitäten des sogenannten Hemihypnotismus,
worauf allerdings auch vom Verfasser hingewiesen wird.
Man braucht nicht gerade parteiisch oder befangen zu sein,
um bei der Lektüre aller hierhergehörigen Schriften zu
erkennen, wie sorglos experimentirt oder jedenfalls berichtet
worden ist; lassen wir doch die Todten bei den Todten
ruhen!
Dagegen bin ich völlig mit der Genauigkeit einverstanden,
die v. Schrenck bei der Erörterung der Nancy-Schule
walten lässt. Denn selbst wenn Charcofs Doctrinen für
einige Hysteriker zu Recht bestehen sollten, so ist doch
sicherlich die Suggestion das Fundament für den ganzen
übrigen Somnambulismus und seine therapeutische Bedeutung.
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