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Seherr Thosz: Aus dem Gebiete des Uebersinnliohen. 533
im Stande sei. Da erhob sich plötzlich im ganzen Zimmer
ein Lärm, so arg, so furchtbar dröhnend, wie der stärkste
Kanonendonner, den ich jemals in einer Schlacht gehört
Und jetzt kam auch die Sehkraft der Augen in die Lage,
auch ihrerseits zu konstatirendass dies unbeschreibliche
Getöse faktisch im Zimmer existirte, dass es nicht etwa eine
auf bloss innerer Empfindung beruhende Täuschung sei.
Nein, die Schallwellen existirten thatsächlich im Zimmer,
denn als ich halb betäubt nach den Fenstern blickte, (die
Fenster bestanden aus kleinen, durch Blei verbundenen,
sechseckigen Glasscheibchen, wie man sie oft in Kirchen
oder alten Schlössern findet,) zitterten diese in heftiger
Bewegung, was sich leicht wahrnehmen Hess, da das Kerzenlicht
sich darin abspiegelte. Ein vernünftiges Denken war
während dieses, etwa eine halbe Minute oder länger dauernden
Getöses selbstverständlich unmöglich. Ich hatte nur das
Gefühl, als müssten die Mauern einstürzen. Wie gross war
nicht mein Erstaunen, als ich, unmittelbar nach dem Aufhören
des Lärmes, dicht unter meinen Fenstern den Nachtwächter
die zwölfte Stunde pfeifen hörte. Er hatte also
Nichts wahrgenommen von dem, was bei mir vorging! Die
durch das Getöse erzeugten oder ihm zu Grunde liegenden
Schallwellen, welche die Fenster erzittern machten, hatten
die Fenster nicht durchdrungen. Das Naturgesetz von der
Fortpflanzung des Schalles war also in diesem Falle suspendirt,
so etwa, wie das Gesetz der Schwere für den Mondsüchtigen.
Ais der Nachtwächter ausgepfiffen hatte, nahm ich mein Buch
wieder zur Hand, las bis 2 Uhr und erfreute mich dann
eines gesunden Schlafes. Am Morgen kam ein Leibjäger
des Fürsten, meine Kleider abzuholen. Ich frug ihn, ob er
Nachts keinen Lärm gehört habe, was er verneinte, woraut
er sich schnell entfernte, ohne auf weitere Fragen zu antworten
* Nach eingenommenem Kaffee kam B. zu mir.
Natürlich stellte ich ihm dieselbe Frage. Anfänglich wollte
er nicht Rede stehen, bequemte sich aber schliesslich doch
dazu. Er habe, sagte er, diese beiden Stuben ein ganzes
Jahr lang bewohnt; die eigentümlichen Vorgänge, ähnlich
denen, die ich eben erlebt, hätten sich manchmal alle zwei
oder drei Tage wiederholt, manchmal erst nach vierzehn
Tagen. Er sei davon so nervös geworden, dass er sich
gezwungen sah, diese Wohnung mit einer anderen zu vertauschen
. Der Spuk existire in diesen beiden Zimmern seit
unvordenklicher Zeit. Seine Schwester liebe es nicht, dass
davon gesprochen werde, weil man ihr sonst „das Haus
verrufe", ein Wunsch, dem selbstverständlich auch meinerseits
entsprochen wurde* Während der acht Tage, die ich
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