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536 Psychische Studien. XV. Jahrg, 12, Heft. (December 1888.)
zum Aufenthalt zu wählen. Cseh wählte Valpo, wo sein
Freund ihn öfter besuchte. Nach einiger Zeit machte
Prandau die Bemerkung, dass der Rittmeister verstört und
kränklich aussehe, was er sich nicht erklären konnte, da er
es dem Gast an aufmerksamer Pflege nicht mangeln Hess.
Auf sein Befragen erhielt Prandau nur ausweichende Antworten
. Nach beiläufig sechs Monaten erhielt der Baron
einen Brief von Cseh, worin dieser ihm den Entschluss mittheilte
, Valpo zu verlassen. Prandau eilte zu seinem Freunde,
drang in ihn, den Grund seiner Unzufriedenheit aufzudecken,
und brachte ihn schliesslich zu einem offenen Geständniss.
Der Rittmeister erzählte nun, dass ihm schon mehrere
Male eine weisse Frauengestalt erschienen sei, die vor
seinem Bette stehen bleibe, ihn mit geisterhaftem Blick
fixire und dann verschwinde. Er habe sich geschämt, von
dieser Erscheinung zu irgend Jemandem zu sprechen, doch
hätten seine Nerven dabei so furchtbar gelitten, dass er es
nicht länger ertragen könne. Auf Prandauh Einwendung,
dass dies nur Gebilde einer krankhaften Phantasie seien,
erwiederte v. Cseh. dass er vor einigen Tagen den Muth
gefasst habe, die Gestalt anzureden, sie zu frage«, was sie
von ihm begehre. Sie habe darauf mit geisterhafter
Stimme geantwortet, ihre Gebeine seien in dem unterirdischen
Gange, der nach dem östlichen Thurm hinführe,
drei Klafter tief verscharrt. Er möge sie ausgraben und
in geweihter Erde beisetzen lassen. Cseh bat dringend
seinen Freund, diesem Wunsche Folge zu geben, schon um
sich zu überzeugen, ob die Angabe auf Wahrheit beruhe,
oder nicht. Mit Widerstreben ertheilte der Schlossherr dem
Kastellan den Auftrag, Nachgrabungen in der angegebenen
Richtung anzustellen und über den Erfolg zu berichten.
Es wurde mehrere Tage lang gegraben, doch nichts gefunden
. Da erschien die Gestalt wieder; man habe nicht
tief genug gegraben, man möge eine Klafter tiefer graben,
dann werde man finden, was man suche. Auf die Bitten
des Rittmeisters nahm der Kastellan die Nachgrabungen
wieder auf, und in der That stiess man in der angegebenen
Tiefe auf ein menschliches Skelett, das herausgenommen und
vorläufig in einer Kiste aufbewahrt ward. Baron Prandauy
von dem Funde unterrichtet, kam alsbald, ihn zu besichtigen
. Er erwirkte vom Erzbischof die Erlaubniss,
die gefundenen Gebeine im Friedhofe beizusetzen, was bald
nachher im Beisein einer grossen Menschenmenge wirklich
geschah. Die „weisse Frau" erschien dem Rittmeister
noch ein letztes Mal; sie dankte ihm für die Erfüllung
ihres Wunsches und gab ihm bekannt, dass an einer von
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