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Heherr Thos»z: Aus dem Gebiete dos Uebürsirmliclien. j§
Eisenbahn in zwei oder drei Stunden zu erreichen war. Er
theilte der Mutter seine Absicht mit, mit dem Versprechen,
in 36 Stunden zurück zu sein. Die Mutter bat ihn inständig,
nicht fortzugehen, „sonst sehe er sie lebend nicht wieder/*
Die Dringlichkeit der Angelegenheit bestimmte jedoch den
Sohn, nach nochmaliger Berathung mit dem Arzt, gleichwohl
am selben Abend abzureisen« Am folgenden Tage
war er mit seinen Geschäften früher fertig, als er gedacht
hatte, und wollte mit dem Abendzuge abreisen, kam aber
zu spät; der Zug war eben abgegangen. Der Frühzug
ging um 6 Uhr Morgens ab. (TEscury gab Auftrag im
Hotel, ihn um 5 Uhr früh zu wecken, legte sich zeitig zu
Bett und stellte seine Stiefeln, wie dies viele Reisende thun.
auf den Gang neben die Thür. Als er am nächsten Morgen
rechtzeitig angekleidet war, wollte er die Stiefeln anziehen,
fand sie aber nicht am Platz. Er klingelte dem Stiefelputzer
, der nichts davon weiss. Er allarmirt das ganze
Haus, doch die Stiefeln wurden nicht gefunden; es stellte
sich bald heraus, dass sämmtlichen Reisenden, die ihr
Schuhwerk vor ihre Thüren gestellt hatten, dasselbe während
der Nacht gestohlen worden war. Ueber der Nachsuchung
war viel Zeit vergangen, d'Escury entlieh vom Wirth ein
paar Schuhe, fuhr zur Bahn, kam aber abremals zu spät.
Er konnte nun erst mit dem Abendzuge abreisen. Zu Hau**
angekommen, fand er die Mutter todt und schon aufgebahrt.
Ihre letzten Worten waren gewesen: — „Ich hätte meinem
theuren Sohn so gern noch einmal die Hand gedrückt/*
Der Schmerz, die Verzweiflung des Sohnes waren grenzenlos.
Er machte sich die bittersten Vorwürfe, dem Willen der
Mutter nicht gehorsam gewesen zu sein. Kurz vor Mitternacht
trat er in den Saal, wo der Sarg aufgebahrt war,
um zu beten. Er schickte die Wache haltenden Diener
hinaus, nahm einen Stuhl und setzte sich dicht vor dem
Sarge nieder. Er betete. Plötzlich sah er den Sargdeckel
sich heben, der Mutter Hand sich hinausstrecken; er legte
die seine in die ihre, bis diese sich zurückzog, der Sargdeckel
wieder zufiel. —
d'Escury schwur uns bei der Liebe zu seiner Mutter,
bei Allem, was ihm heilig sei, dass sich Alles so zugetragen
, wie er es erzählt, dass es kein Phantasiebild,
keine Vision war, sondern thatsächliche Wirklichkeit. —
Man kann in solchen Dingen nichts absolut behaupten,
nichts absolut leugnen, darum enthalte ich mich jeder
persönlichen Meinungsäusserung. Wer den Erzähler des
Erlebnisses gesehen hat, wie er mit höchster Erregung
und zugleich mit tiefster Ueberzeugung sprach, wie ins-
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