http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1889/0028
20 Pey'' * • Studien. XVT. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1889.)
seit längsthYr durch seine Prämissen und die zusammen-
hängende Verkettung der Umstände festgestellt gewesen
sein; denn man kann unmöglich sehen, vorempfinden, was
nicht ist, was also auch nicht im Buche einer ungewissen
Zukunft existiren kann. Das bedarf keines näheren Beweises,
So kommen wir, nicht durch theoretische Speculation, sondern
auf Grund von Thatsachen, zu der logischen Schlussfolgerung
: dass Vorausbestimmuug das Schicksal der
Menschen wie der Dinge regelt, dass die Karten der
Weltentwicklung der Art gemischt sind, dass jedes Ge-
schehniss, das kleinste wie das grosste, durch Naturnotwendigkeiten
herbeigeführt, zur bestimmten Stunde und am
bestimmten Orte eintritt, ohne dass der sogenannte Zufall,
oder der menschliche Wille, einen Einduss darauf üben
könnten, denn beide sind demnach als nicht vorhanden anzusehen
. Schon vor dreihundert Jahren, wo die Menschheit
noch viel tiefer in Voiurtheilen steckte wie in unseren
Tagen, definirte Baco von Verulam den „freien Willen" des
Menschen als „nichts Anderes, als das Resultat der jeweilig
stärksten Motive.44 In noch viel früherer Zeit nannte
DemokrU den „Zufall": eine „Ausrede der menschlichen
Unwissenheit/* —
Die Folgerungen, die man aus dem Falle Neuval —
und er steht bei weitem nicht vereinzelt da — ziehen kann
oder ziehen muss, sind geeignet, wenn sie jemals allgemeinere
Verbreitung fänden, eine tiefgehende Umwälzung in der
Weltanschauung der christlichen Völker herbeizuführen und
zartbesaitete Gemüther in Sorge und Schrecken zu versetzen
. Dem ersten Anscheine nach wäre, vom gesellschaftlichen
und vom Moralitäts-Standpunkte aus, eine Besorgniss
allerdings gerechtfertigt. Aber nur dem Anscheine nach.
Wohl würden die Begriffe von Tugend und Laster, von
Verdienst und Verbrechen, von Recht und Unrecht eine
veränderte Bedeutung erhalten, verändert aber nur vor dem
eigenen Gewissen, vor dem Gott in der eigenen Brust. Vor
dem Staate und der Gesellschaft hingegen, und folglich vor
dem Gesetz, wird Unrecht immer Unrecht, wird das Verbrechen
immer strafbar bleiben, denn Staat und Gesellschaft
können ohne Autorität und moralische Grundlagen nicht
bestehen. Es ist nicht zu fürchten, dass der Glaube an
Prädestination den Menschen verwildern, zu Verbrechen
geneigter machen würde. Man betrachte doch die zahllosen
Verbrechen, die heute täglich in der gesammten Christenheit
verübt werden, und die anarchistischen Umsturzbestrebungen,
die sich trotz christlichem Bekenntniss immer weiter ausbreiten
. Dagegen sehe man die zwei hundert Millionen der
i
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1889/0028