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60 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1889.)
rialist bleiben. Ich aber, der icli diese Literatur ziemlich
genau kenne, und der allein innerhalb des letzten
Jahres Kenntniss von sechs somnambulen Ferngesichten
erhielt, wovon bis jetzt schon vier gegen alles Erwarten
sich bewahrheitet haben, werde wohl das Recht haben,
das Gesammtgrewicht aller dieser Gegner, die sich nicht
einmal zum Experimentiren aufraffen wollen, gleich Null
zu erklären.
Die dramatische Spaltung des Ich im gewöhnlichen
Traum beweist also nur die psychologische Möglichkeit
einer Doppelheit unseres Wesens auch ausserhalb
dos Traumes. Die dramatische Spaltung im Somnambulismus
aber beweist die metaphysische
Wirklichkeit unseres Doppelwesens. Im Traume zeigt
sich nur unsere normale, sinnliche Persönlichkeit und deren
Vorstellungsinhalt auseinander gelegt; im Somnambulismus
dagegen zeigt sich ein Wesen auseinander gelegt, von welchem
unsere irdische Person nur eine Hälfte ist. Da nun aber die
mystischen Funktionen des Somnambulismus wahrend
unseres irdischen Daseins auftreten, müssen wir nicht nur
die Existenz unseres transcendentalen Subjektes behaupten,
sondern auch dessen Gleichzeitigkeit mit unserer irdischen
Person.
Das somnambule Fernsehen, weil aus dem sinnlichen
Bewusstsein nicht erklärbar, welches dabei nur
passiver Empfänger sein kann, muss daher offenbar auf
Inspiration beruhen. Der Vollständigkeit halber muss
aber noch ermähnt werden, dass für Inspirationen drei
Hypothesen möglich sind und in der That ihre Vertreter
haben: —
1) Die Theologen erklären sie durch transcen-
dente Subjekte, gute Geister oder schlechte Dämonen.
2) Die Pantheisten erklären sie aus dem allgemeinen
Zusammen hang und deren Sympathie aller
Dinge und deren Einheit in der Weltsubstanz
3) Der metaphysische Individualist sagt, der
Inspirator sei unser eigenes transcendentales Subjekt
, das seine Vorstellung über die Empfindungsschwelle
hinweg in unser sinnliches Bewusstein sendet.
Das Verfahren der Theologen ist für ihr eigenes
Interesse höchst bedenklich. Die grossen Kirchenlehrer
waren niemals so ungebildet, die mystischen Phänomene
zu leugnen, und ihre Schriften sind in dieser Hinsicht
interessanter zu le*en, als die der modernen aufgeklärten
Gegner. Aber die Kirche hat schwarze und weisse
Magie auf Teufel und Engel vertheilt, kennt dagegen
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