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Kurze Notizen
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um.' — Von derartigen Wahnvorstellungen bis zur verhängnissvollen
That des unglücklichen Kronprinzen ist
nur ein kleiner Schritt, und wir sind gewiss, dass er von
jener Umnachtung des Geistes befallen war, über welcher
das tröstente Wort des Heilandes leuchtet: — „Vater
vergieb, denn sie wissen nicht, was sie thun." —
Soll das etwa ein versteckter Versuch des betreffenden
Pfarrers sein, vom protestantischen Standpunkte aus den
Wah nsinn überhaupt mit dem modernen Spiritismus
d. h. mit dem Glauben an Geister, an deren Fortleben im
Jenseits und an deren fortdauernde geistige Beziehungen
mit dem Diesseits, also an den sogenannten Geisterverkehr,
zu identificiren? Ach, dann hätte der Herr Pfarrer seinem
Glauben einen viel schlimmeren Schuss in Aller Köpfe
versetzt als der Kronprinz. Denn die protestantische
Kirche kann diesen Glauben so wenig verleugnen, als die
katholische Kirche. Der Unterschied zwischen beiden
liegt nur in einem niederen und höheren Grade der
geglaubten Zulässigkeit eines Hinüberwirkens der Erdlebenden
ins Jenseits und eines Herüberragens und-Wirkens
der Geisterwelt ins Diesseits. In der katholischen Kirche
griff der liebende Glaube an die armen Seelen im Fegefeuer
und an ihre Erlösungsfähigkeit zu irdischen Erlösungs-
mitteln vermittelst Seelenmessen und Stiftungen, welche aber
allein der Kirche und ihren Orden zu Gute kamen und der
Glaube an die Heiligen und Verklärten im Himmel zum
habsüchtigsten Schacher mit Heiligen-Reliquien und deren
überzähligen Verdiensten zu Gunsten irdischer Sünder vermittelst
der Ablasskrämerei. deren Milliarden Ertrag
hauptsächlich dem Papstthum in Rom zufloss. Hiergegen,
gegen den irdischen Schacher und Gewinn allein, erhob sich
Luther, nicht aber gegen das demselben zu Grunde liegende
Princip (Joh. XVII, 24; Luk. XVI, 19—31) des Glaubens einor
möglichen Liebes-Einwirkung des Diesseits auf das Jenseits
durch Gebet für die Veistorbenen, und des Jenseits auf das
Diesseits durch Inspiration, Offenbarung und Zuwendung
von Christi und der Heiligen Verdienste durch Gottes Gnade.
Der moderne Spiritismus unterscheidet sich nun nicht
im Princip. sondern nur in den weiteren Schlussfolgerungen
daraus von diesem Kirchenglauben höchstens dadurch, dass
er nicht bloss in der Bibel berichtete und von der Geistlichkeit
dazu gestempelte, sondern noch heutzutage ganz bestimmte
volksthümliche Vorgänge mediumistischer Art, welche
die Geistlichkeit gern als Dämonen- und Teufelsblendwerk
sich fern halten möchte, auf einen directen
unmittelbaren Verkehr mit der Geisterwelt bezieht, dessen
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