http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1889/0132
124 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 3. Heft. (März 1889.)
kleinsten Kraftmaasses, welches in der organischen Natur
gilt, auch in der Wissenschaft, Philosophie und Kunst gilt,
wodurch es nahe gelegt wird, die organische und geistige
Thätigkeitsweise aus der gleichen Seele zu erklären. Ich
habe mir ferner die Gedanken von Zeinng und Pfeifer über
den goldenen Schnitt angeeignet, welcher das Eintheilungs-
prinzip unseres Körpers, aber auch verschiedener Geistesprodukte
ist. Dies spricht abermals für ein einheitliches
Prinzip des Organisirens und Denkens. Endlich habe ich
mir angeeignet, was Kapp in seiner „Philosophie der Technik"
bezüglich der Organprojektion nachweist, class nämlich verschiedene
Produkte unserer Technik von der lSratur organisch
antieipirt sind, so dass z. B. die „camera obscura" ihr Vorbild
am Auge hat. Alle diese Thatsachen nun beweisen die
Identität des Denkenden und Organisirenden, und da
dem denkenden Prinzip die Individualität nicht abzusprechen
ist, so muss auch das Organisirende an dem gleichen
Individualitätsgrad Theil haben.
In neuerer Zeit ist nun auch noch der Hypnotismus
hinzugekommen, welcher beweist, dass organische Veränderungen
durch die blosse Idee derselben erzielt werden
können, womit abermals bewiesen ist, dass das Organisiren
nicht etwa einem pantheistischen Unbewussten angehört,
sondern jenem transcendentalen Subjekt, welches unseren
Leib, wie unsere Geistesprodukte, organisirt.
Wo also und soweit das Denken nicht dem Tages-
bewusstsein angehört, sondern aus transcendentaler
Quelle fliesst, — wie z. JB. in der unbewussten Anwendung
des kleinsten Kraftmaasses, goldenen Schnittes und
der Organprojektion als Eormalprinzipien der Geistesprodukte
, — dort zeigt sich die Einmischung der organisirenden
Seele. Umgekehrt beweist der Somnambulismus,
dass die organisirende Thätigkeit der Seele in unserem
Körper von Vorstellungsprozessen begleitet ist, die — wegen
der in diesen Zustand verlegten Empfindungsschwelle —
in's Gehirnbewusstsein der Somnambulen übertreten, so das^
dieselben die Autodiagnose, die innere Selbstschau
vornehmen und — eben weil die erkennende und die organisirende
Seele identisch sind — auch den Entwicklungsgang
der Krankheit vorhersagen.
Wenn es also selbst je gelänge, alle mystischen
Phänomene aus dem Organismus zu erklären, so müsste
doch noch dieser seinerseits als Produkt eines transcendentalen
Subjektes anerkannt werden. Der irdische Körper ist
also in der That nur das Resultat einer Spaltung unseres
Wesens; das Eiklärungsprinzip unserer Träume, die drama-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1889/0132