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Schmoll: Zerstreute Ideen in Sachen des Spiritismus. 173
mystisch offenbart noch wissenschaftlich erschlossen wurde,
weshalb ich sie denn auch für nichts weiter als einen ganz
persönlichen Gefühlseindruck angesehen wissen möchte, ist
ungefähr folgende.
In jener höheren, lichtumwebten Daseinsform, wo
man, um bildlich zu reden, in gläsernen Häusern wohnt,
d. h. wo ein Jeder des Anderen innerstes Wesen durchschaut
, findet das auf Erden vielfach verfälschte und nur
selten zur Geltung kommende Prinzip der Gerechtigkeit
seinen reinsten, vollendetsten Ausdruck. Die uns innewohnenden
Vorzüge und anhaftenden Mängel sind vor eines
Jeden Augen aufgedeckt, so dass unsere Sympathien und
Antipathien sich nicht mehr verirren können. Man findet
sich nothwendig mit moralisch und intellektuell ebenbürtigen
Wesen zusammen und ist sich der Thatsache bewusst, dass
die Eangstufe, welche man mit denselben behauptet, durch
die durchlebte irdische Existenz nur unmerklich verlegt
wurde, indem letztere nur eine Ruhe- und Kräftigungsstation
war, von welcher eine wesentliche Erhöhung oder Erniedrigung
nicht abhängen konnte. Auf Erden konnten
die im Kern unseres Wesens verborgenen Affinitäten und
Strebkräfte nur unvollkommen zum Bewusstsein und zur
Bethätigung gelangen, da sie beständig durch materielle
Hindernisse, durch soziale Vorurtheile, durch von aussen
kommende Einflüsse und Zufälle jeder Art unterdrückt oder
irregeleitet wurden; dort hingegen wird ihnen abermals, d* h.
wie in der vorirdischen Existenz, unbehinderteres Walten
und vergeistigtere Befriedigung zu Theil werden. Einem
ganz neuen Fühlen, Wissen und Schauen anheimgegeben,
wird dort ein Jeder erkennen, dass wir auf Erden unseren
Werth oder Nichtwerth eher ahnen oder vorfühlen, als
bestimmen konnten; dass die irdische, lokalen Zuständen
angepasste Moral keine absolute sein konnte, und dass der
noch auf Erden lebende Mensch desto vollkommener dem
Fundamentalgesefcze seiner geistigen Entwickelung genügt,
je mehr er jede, nothwendig sein Wesen verkleinernde und
nach innen strebende Regung des Egoismus — des gröbsten
aller geistigen Mängel — unterdrückt und darnach strebt,
sein (wenn ich mich so ausdrücken darf) erwärmendes und
erleuchtendes Ich auf eine immer weitere Sphäre auszudehnen
; d&ss also eine Art Oentrifugalkraft, welche unsere
geistige Entwickelung bedingt und unendlicher Entfaltung
entgegenstrebt, uns innewohnt. Es wird ihm klar werden,
dass unser Pflichtbewusstsein im Intelligiblen wurzelt, also
keine Errungenschaft der phänomenalen Existenzen ist und
durch dieselben sogar nur momentan verdunkelt werden
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