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Wittig Cyriax contra Wittig.
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die von ihm hochverehrte Dame gesehea und gesprochen zu
haben. Er habe sich bei ihr, wie er mir sagte, nur für ihre
geschenkten Bücher und für ihr dem „Sprechsaal" entgegenkommendes
Wohlwollen bedanken und ihr auch einmal
mündlichen Bericht über den Absatz ihrer schon früher in
seinem Commissions-Verlage befindlichen zwei Bücher abstatten
wollen. Sie sei ihm blass wie ein Geist in
weissem mit Spitzen besetztem Gewände in der Nähe eines
verhangenen Fensters erschienen und habe sich während
der ganzen Unterredung höchst sensitiv in stets entsprechender
Entfernung von ihm gehalten, nachdem sie ihn,
einen Tisch zwischen sich, in der Mitte des Zimmers zum
Sitzen eingeladen. Er habe sich bei ihr als Reisender für
sein kaufmännisches Blumengeschäft en gros mit einem
Geschenk neuester künstlicher Bouquets eingeführt, wofür
sie sich zwar interessirt gezeigt, aber jede Annahme solcher
als für ihre kranke Person unnütz dankend abgelehnt habe.
Dennoch habe er ihr einen schönen Blumenstrauss als
Andenken im Vorzimmer zurückgelassen. Daran hätten
sich nun ihre weiteren Gespräche über seinen Leipziger
Verein und Dr. Cyriax' Wirken darin und mein damals
kränkliches Befinden geknüpft. Sie habe ihm schliesslich
noch beim Abschiede erklärt, einmal nach ihrem Tode
hoffe sie für die Sache mehr als durch ihre jetzigen
Bücherschenkungen thun zu können. Und nun kommt etwas,
was Herrn Cyriax abermals nicht gefallen wird. Herr Besser
sagte mir, er sei auch erstaunt gewesen, nicht das Jammerbild
in ihr gefunden zu haben, welches Dr. Cyriax ihm in
despektirlicher Weise mit einem sonderbaren Vergleiche
von ihr entworfen gehabt habe; sie sei eine sehr kleine und
unendlich zarte Person gewesen, er aber habe durchaus
nichts ihr menschliches Aussehen Entstellendes an ihr finden
können; dahingegen habe er auf seiner weiteren Geschäftsrundreise
in T r i e s t auch einmal bei Frau Baronin Adelma
von Vay vorgesprochen, welche allerdings im Gegensatz zu
der kleinen hageren Dame ein „idealisches Aussehen"
gehabt habe. — Sollte diese Mittheilung etwa auch eine
bloss angebliche kolossale und niederträchtige Lüge des
Herrn Besser sein, deren Ursprung nur bei mir, der ich die
beiden Damen nie gesehen habe, zu suchen wäre?
So viel bleibt also fest bestehen, dass sowohl Dr. Cyriax
als Herr Besser, jeder für sich zu seinen speziellen Zwecken,
mit der Frau Baronin wenigstens je eine persönliche Zusammenkunft
gehabt haben. Beider Herren notorischer
Zweck war, ihr Wohlwollen und ihre weitere Unterstützung
für den „Sprechsaal" möglichst für sich allein zu gewinnen,
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