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Schmoll: Zerstreute Ideen in Sachen des Spiritismus. 213
uns angestrengt haben, die Hindernisse der Materialität zu
überwinden, unsere Erkenntniss zu erweitern und unsere
inneren .Regungen zu veredeln. Es kann mich Niemand in
der Ansicht irre machen, dass, wenn der Glaube an ein
zukünftiges Leben, in welchem unser sittliches und intellektuelles
Bewusstsein auf eine unvergleichlich höhere Potenz
gesteigert ist, in welchem sich unser derzeitiger geistiger
Zustand wie in einem Zauberspiegel in übersinnlich verklärter
Weise darstellt; dass, sage ich, wenn dieser Glaube für
die ganze Menschheit zur festen Ueberzeugung
geworden wäre, es keiner Zuchtruthe, keines speziell
formulirten Moralgesetzes mehr bedürfte. Wenn dem aber
so ist, so kann diese Vorstellung von unseren jenseitigen
Daseinsbedingungen auch nichts Schädliches, Verderbliches
in sich enthalten und mithin schon jetzt ohne jede Gefahr
als Weltanschauung angenommen werden. Das Gerechtigkeitsprinzip
wird dadurch in keiner Weise beeinträchtigt;
nur trägt dasselbe nicht mehr den Charakter eines von
aussen kommenden Penal~(Straf-)systems; sondern eines sich
von innen heraus entwickelnden Sympathiegesetzes. Wie in
der sinnlichen Welt ein steter Ausgleich der Kraftmomente
stattfindet, so muss sich in der übersinnlichen aas jedem
Kraftaufwande unseres Ich eine sich auf ganz spontane
Weise realisirende Verwerthung ergeben.
Was uns wirksamer als alle Vorstellungen von jenseitigen
Belohnungen und Bestrafungen im engen Sinue des
Wortes für gute Regungen empfänglich macht und vom
Unrechtthun abhält, ist jene aus dem Transcendentalen
herüberklingende innere Stimme, welche man das Gewissen
nennt. Jede gute That, jeder Sieg über unsere thierische
Natur ist von einem Gefühle inneren Wohlbehagens, jeder
Verstoss gegen das allen Menschen innewohnende Moralgesetz
von einer unruhigen, nagenden Seelenstimmung
gefolgt. Wahrhaft glücklich, welche immer auch ihre
äusseren Lebensschicksale sein mögen, sind also nur gute
Menschen, und wahrhaft beklagenswertb sind die Bösen,
Lasterhaften, würden ihnen selbst alle irdischen Genüsse in
Uebermaass zu Theil. Dass es Bösewieliter gebe, welche
nie etwas empfinden, was Gewissensregungen ähnlich sieht,
glaube ich nicht; doch kann diese Frage dahin gestellt
bleiben, indem es sich hier nur darum handelt, festzustellen,
ob der Glaube an jenseitige Strafen als Besserungsmittel
für solche Menschen selbst, oder als Schutzmittel für die
Gesellschaft nothwendig sei. Nun liegt es aber auf der
Hand, dass blosse Furcht vor der Strafe Niemanden wirklich
bessern wird; und was die Gesellschaft anbelangt, so
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