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Schlesinger: Ddsmus, Atheismus.
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uns das Dasein Gottes beweisen wollte, müsste offenbar
damit anfangen, uns zu sagen, was man sich unter dem
Begriffe 'Gott' eigentlich zu denken hat." —
Da ich nun in den „Psychischen Studien" Mai-Heft 1888
auf den Gottesbegriff zu sprechen und ihn zu entwickeln
gekommen bin, so möchte ich darauf aufmerksam machen,
dass ich dort den Beweis geliefert habe, dass man nicht
„offenbar" damit anfangen müsse, den Gottesbegriff zuerst
hinzustellen. Man kann vielmehr den von mir im
Heft 1887 betretenen und im Juli-Heft 1888 abgeschlossenen
Weg einschlagen, um zur Erkenntniss Gottes zu gelangen,
welchen Weg ich in aller Kürze wiederholen will.
Man sieht zuerst von allen Gottesgedanken ab und
betrachtet mit möglichster Unbefangenheit die Erscheinungen
der Natur. Es kann nicht ausbleiben, und man erkennt
G esetzmässigkeit in denselben; unabweislich drängt sich das
Causalgcsetz jedem Denkenden auf, dass nichts ohne Ursache
geschehe. Forscht man nach den Ursachen des Geschehenden,
so sind es wieder Geschehnisse, welche abermals anderen
Geschehnissen ihr Dasein verdanken, wie sie ja selbst wieder
die Ursachen späterer Thatsachen sind. Bei dem Zurückgehen
auf die vorhergehenden Ursachen sagt allerdings der
Philosoph, dass hier kein Ende zu erreichen sei. Aber der
Physiker, sofern er sich von gewissen irrigen physikalischen
Grundsätzen befreit, kommt zu einem Ende; er kommt
dahin, zu erkennen: Jene Ursache, welche Bewegung erzeugt,
ist die letzte, ist die Ur-sache im wahren Sinne des Wortes.
Er erkennt bei näherer Prüfung, dass sie auch die Ur-sache
alles Bewegten sein muss; dass das Bewegte nur ununterbrochene
Wirkung der einzigen Ur-sache alles Seienden
und alles Geschehens ist. Und diese einzige Ur-sache, muss
nach menschlichem Denkvermögen, das auch nur ihre
Wirkung ist, als Unerschaffenes, Unerreichbares, Ueberall-
seiendes, mithin als der unendliche Raum erscheinen; dieser
ist rieht Nichts; er ist ein untudlicher Geist, er ist Gott,
und sein Wirken ist die Natur. Nicht die Natur ist Gott,
sondern das geistige Wesen des endlosen Raumes ist Gott;
die Natur ist überall und in jedem Augenblick das Wirken
dieses schöpferischen Pnnzipes; die Dinge der Natur sind
nicht in den Raum hineingestellt und für sich bestehend;
sie sind in jedem Augenblick ein Werk des Wirkens Gottes,
und das Causalgesetz ist nur die uns erkennbare Form
seines Wirkens. Der Pantheist stellt sich die Natur als
Gott vor; das ist sie nicht; sie ist nur seine Thätigkeit,
und wenn Gott einst nicht in der Weise thätig sein will,
wie er thätig ist, so verschwindet die uns erkennbare Welt,
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