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236 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1889.)
und eine ganz andere Welt, die vielleicht grundverschieden
von der unsrigen ist, kann ins Dasein treten. Es ist
sicherlich falsch, eine wirkliche pantheistische Gottheit als
seiend sich zu denken; es heisst dies die Wirkung für die
Ursache setzen; und gewiss ist es eben so falsch, Gott zu
personificiren, ihn in irgend einer endlichen Gestalt als
seiend zu denken. Gott ist, wie es ganz richtig in den
christlichen Schriften heisst, ein Geist; abe*? kein personi-
ficirter; er ist unendlich im Räume und der Zeit. Und
wenn uns Philosophen auch den Raum hinweg disputiren
wollen; wenn sie sagen, der Raum besteht nar in unserer
Vorstellung, so mögen sie es immerhin thun; die Ursache
dieser Vorstellung ist doch Gott, unsere Vorstellung aber
sein Wirken.
An diesen uns unsichtbaren und dennoch uns umgebenden
Gott, an diesen Schöpfer und Erhalter der Welt kann sich
der Mensch in den Bedrängnissen des Lebens um Trost
und Hilfe wenden; und ist sein Vertrauen zu Gott unerschütterlich
, erkennt er in Gott das väterlich sorgende
Prinzip für die Entwickelung des menschlichen Geistes zu
stets höheren Stufen der Vollkommenheit; ist für ihn das
irdische Leben nur ein winziger Theil dessen, was ihn unter
Bewusstsein seiner Vergangenheit erwartet; ist der Ausgleich
an Leiden und Freuden, wenn nicht in diesem, so doch im
folgenden Leben, sein sicherer Gedanke: dann findet der
Mensch im Vertrauen zu dem unendlichen Gott den gesuchten
Trost; und mag ihm Hilfe erscheinen, oder mag sie ihm
zunächst ausbleiben, er wird in seinem starken Gottvertrauen
ausharren und muthig im Kampfe des Lebens die Sorgen
ertragen, die ihm die Verkettung der Geschicke auferlegt.
Dass dieser Gott, als Wesen des unendlichen Raumes,
als unfassbarer Universalwille, sich wirklich in eine problematische
Weltsubstanz verflüchtigt und dadurch jede
Argumentation über ihn überflüssig wird, kann ich nicht
zugeben; denn, wenn ich mit physikalischem Denken jene
Erscheinungen untersuche, welche man Trägheits- oder
Beharrungsvermögen und Trägheitswiderstand der Körpermassen
nennt, so finde ich, dass der unendliche Raum an
sich eine reelle, wenngleich geistige Wesenheit ist, welche
alle Dinge mit einer entsprechenden Intensität festzuhalten
sucht und ausserdem bewegt; alle Dinge haften am Wesen
des Raumes; es besteht, um in sinnlich fassbarer Weise zu
sprechen, für alle Dinge eine Raumadhäsion, wie ich
in meiner Arbeit: — „Die geistige Mechanik der
Natur" (Leipzig, Oswald Mutze, 1888) 224 S. gr. 8°. Preis
5 Mk., geb. 6 Mk.) dargelegt habe.
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