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250 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1889.)
e) Die Besessenen von Spandau. — Wie viele
Orte in früheren Jahrhunderten, so hatte auch einst die
Stadt Spandau ihre „Besessenen", die längere Zeit hindurch
die Einwohner in grosse Aufregung versetzten. Nach den
alten Chroniken, denen wir im Nachstehenden folgen, begann
der Spuk am 15. September und endigte am 17. December
1594. Der Böse, so raunten die Spandauer einander zu,
treibe sein höllisches Werk in der Art, dass er Geld, Ringe,
Nadeln, Knöpfe, Messer, Bänder und anderen Tand auf die
Strasse streue, und wer von diesen Dingen aufnähme, der
sei dem Teufel verfallen. Diejenigen, welche sich besessen
fühlten, sagten aus, sie empfanden zum öfteren, wie ein
kalter Wind sie umwehe, der sich wie eine Schlange drehe,
bis er ans Herz käme, wodurch sie dann der Sinne beraubt
würden und nicht mehr wüssten, was sie redeten und thäten.
Besonders arg gebärdeten sich der Hutmachergeselle Gabriel
Kummer — den schon mancher der Zeitgenossen als irrsinnig
erkannte —, der Hufschmied Andreas Reiche und die Dienst -
magd Katharina Richter. Ausserdem aber galten noch dreissig
Personen verschiedenen Alters und Geschlechtes, auch
Knaben und kleine Mädchen, als besessen. Einige davon
hatten Erscheinungen, die indessen durchaus nicht teuflisch
waren, denn sie zeigten sich in Gestalt eines Engels, der
die Leute vermahnte, sie möchten zum Magister Calerus
gehen und ihn bitten, wider Hoffart, Kleiderpracht und
Völlerei zu predigen: Sünden, die im weiteren Portgange
schreckliche Strafgerichte zur Folge haben würden. Der
oben erwähnte Hutmacher wollte auch eine Stimme gehört
haben, welche ihm befahl, die Kirche zu öffnen, die Sturmglocke
zu läuten und durch die Strassen zu rufen: — „Thut
Busse oder wehe euch!" An dem Glockenläuten wurde er
zwar verhindert, aber mit seinem Geschrei durch alle
Strassen erfüllte er viele Einwohner mit Schrecken. Die
weltlichen Behörden scheinen diesen Dingen gegenüber recht
fassungslos gewesen zu sein, die Geistlichen aber veranstalteten
in den Kirchen Betstunden, zu denen auch die
Besessenen geführt wurden. Das Anschlagen der Glocken
zu gewissen Stunden blieb von da an noch durch Jahrhunderte
in Spandau üblich. Auch der Graf Rochus von
Lynar, Gouverneur der Stadt, hielt in seinem Hause Betstunden
ab, und wie sehr er sich die Noth der „Armen
Leute zu Spandav" zu Herzen genommen, geht aus einem
Schreiben an den Kurprinzen Joachim Friedrich hervor, in
welchem es heisst: — „Ich lasse mir aus schuldiger Pflichtt
und Christlicher Lieb wegen diese sache so hoch angelegen
sein, alss mir mueglich, habe auch auf underthenigstes
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