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294 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1889.)
„Sie kam als eine Kranke dort an, und wie der fieberhafte
Zustand, in den sie nun verfiel, verlaufen würde, war
unberechenbar. Ein Arzt und Georg, der Diener, hüteten
und pflegten sie, ausser ihrem Vater. Wildes Phantasmen
brach häufig bei ihr aus; aber es war nicht nur das einer
schwer Kranken, sondern traumhafte Gesichts-
erscheinungen in ihrem magnetischen Zustand waren
dabei. Sie sah ihren William, die königliche Familie im Schlosse
zu Windsor, Scenen darin mit ihm über sie, seine Gemahlin;
sie sprach gleichsam mit hinein, liebeglühend und doch
bereit, ihm zu entsagen, weil es von ihm seitens des Königs
gefordert wurde. Wenn sie dann aus diesem Zustand des
Hellsehens erwachte, so griff eine Erschöpfung ihres
Körpers und Geistes Platz, in welcher sie regungs- und
wortlos mit wunderbar grossen und glänzenden Augen
tagelang im Bette lag, wie wartend, wie ersehnend, dass die
Visionen von neuem kämen, von denen ihr nur dunkle
Erinnerungen zurückblieben. Was sie sah, und worüber
sie derartig sich ausliess, spielte sich aber in der
That im Schlosse zu Windsor zur selben Zeit
ab," —
Die Königin Mutter war für ihres Sohnes Liebe, —
„doch der König! Bei seinem halsstarrigen Charakter und
seiner strengen Denkart, bei seiner durch Wahnsinnsanfälle
gesteigerten Eeizbarkeit war nicht zu erwarten, dass er die
Thatsache einer solchen Ehe seines dritten Sohnes ruhig
hinnehmen werde, nachdem er eine ähnliche seines Erstgeborenen
Vorjahren verflucht."— Er bestand aus politischen
Gründen auf der Trennung der beiden sich heiss Liebenden.
Noch einmal kehrte der Prinz zu seiner Gattin zurück, aber
mit bestimmten brieflichen Forderungen von Seiten der
königlichen Eltern an sie, die der Prinz jedoch als nicht
für ihn und sie vorhanden betrachtet wissen wollte. Während
dieses kurzen Zusammenseins von drei Wochen erholte sie
sich wunderbar rasch. Dann wurde der Prinz abermals auf
Befehl des Königs zur Abreise genöthigt. Beim Abschiede
beschwor er sie, sich durch nichts bestimmen zu lassen,
ihre Einwilligung in eine Scheidung, wie es des Königs
Wille sei, zu geben. Er ging hoffnungsselig lächelnd von
ihr. „Aber er breitete noch einmal seine Arme gegen sie,
und eine unwiderstehliche Macht trieb sie, sich hineinzustürzen
. Der Stern auf seiner Brust drückte schmerzhaft
ihre Stirne dabei. Sie schreckte zurück; sie starrte auf
diesen harten Metallstern. Ein glühendes Küssen noch,
und er flog zur Thür hinaus. — Sie war allein. Eine
grässliche Einsamkeit, in der sie schauderte. Sie hörte die
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