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Wittig: Fin Fall von Hellsehen etc. vor 100 Jahren. 295
Pferde sich in scharfem Trabe entfernen, den Wagen schnell
dahinrollen. Ihre Kraft brach, und sie sank auf einem
Sopha zusammen. — 'VorbeiP schluchzte sie. 'Es ist vorbei!'
— Als ihr Vater, der dem Prinzen das Geleit bis vor das
Haus hatte geben müssen, wieder hereintrat, fand er sie
leblos auf dem Sopha. War es nur Ohnmacht, oder wirklich
der Tod? Der verzweifelnde Mann beugte sich über sie.
— Kein Athmen, kein Schlag ihres Herzens. Er rief nach
Hilfe, nach dem im Hause wohnenden Arzte. Man brachte
Essenzen, Salze; der Arzt horchte an ihrer Brust
und vernahm in Staunen um die Erstarrte ein
unheimliches Knistern, auch ein Pochen im
Sopha. Er bestrich ihr kaltes Antlitz — und, gottlob! sie
schlug die Augen auf und bewegte sich. Eine lange Ohnmacht
war es, aus der sie endlich erstand. — Er war fort, der mit
seiner Gegenwart einen magischen Zauber auf sie ausgeübt,
wie sie auf ihn. 'Vorbei, vorbei P hatte sie im Herzensschrei
ausgestossen, als er sie verlassen. Das Rechte zu thun,
hatte sie sich vorgenommen, als sie den Brief der Königin
an sie gelesen, und ihr Entschluss war gefasst unter all den
Liebesbetheuerungen, die sie mit dem Prinzen austauschte.
Ihn lieben, das war ein höheres Gesetz, als ihr Wille; ihn
ewig lieben, das war ihr Glaube, ihre Religion. Aber auf
seinen irdischen Besitz verzichten, um seinem Aufsteigen
auf den Thron kein Hinderniss zu sein, seiner Person
entsagen, um das höchste Opfer für ihn zu bringen, — das
war das Rechte, was sie thun musste." (S. 815—816.) —
Sie sandte ihm jeden Brief unerbrochen zurück. Der
junge Lord Button, des Prinzen persönlicher Vermittler bei
ihr, wurde sanft und bestimmt zurückgewiesen. Derweil
betrieb die königliche Familie in London die Ehescheidung
zwischen ihrem Sohne und ihr. Der Prinz verweigerte entschieden
seine Einwilligung, aber das Gericht sprach sie
trotzdem aus, und der Prinz erhielt eines Tages das Urtheii
einfach zugefertigt. In seiner Wuth zerriss er das Aktenstück
und warf die Fetzen davon ins Feuer.., „Aber diese Entscheidung
regte ihn so sehr auf, dass er in dem Ungestüm
seines Wesens sich durch ein wildes Genussleben zu betäuben
suchte." . . Die Königin suchte als Freundin des Vaters
der Geschiedenen eine Wiedervermählung derselben anzuregen
. „Das Misstrauen aber, welches diese damit gegen
ihre freiwillige und grossherzige Entsagung verrieth, empörte
sie. Sie dachte auch nicht daran, einem der Bewerber um
ihre Hand, deren es noch verschiedene gab, Gehör zu
schenken. . . Erst nach Jahr und Tag ergriff die still
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