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306 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1889.)
auf den 2ur Zeit höchst sensitiven Dichter derart einwirkte,
dass er in eine damals noch unerklärliche „hypnotische
Schrecklähmung" gerieth, welche ihn bei seiner verunglückten
Audienz in den Verruf sinnloser Betrunkenheit brachte.
Mein Beweis datür steht S. 328—340 genannter Biographie
und gipfelt in dem Ausspruche: — „Nicht Narkose, sondern
Hypnose!"*) — Dass unser Dichter, welcher an der Schwelle
der klassischen Periode seines Jahrhunderts stand, in seinem
Charakter und innersten Wesen vielseitig verkannt und verleumdet
worden * ist, nicht der von seinen theologischen
Rivalen charakterisirte Wüstling and Trunkenbold war,
als den man ihn verschrieen, um seine Selbstrechtfertigung
in seiner eigenen poetischen „Curieusen Lebens-Beschreibung"
durch Unechterklärung derselben über anderthalb Jahrhunderte
mundtodt zu machen, beweist seine Beschäftigung
mit den höchsten philosophischen Problemen, welche ihn in
seinen berühmten „Letzten Gedanken" (Leipzig, Frühjahr
1718) ausrufen Hess: —
205. „Seele, fort! Du hast nun Zeit, deinen Frieden zu bedenken;
Aber welch ein Zweifelmuth mehrt dein innerliches Kränken?
Wirst du durch diss Ganze wandern ? Bist du etwas, oder nichts ?
Oder ein getrennter Funke von dem Wesen jenes Lichts?
Lass den Kummer! er bethört: Geh am sichersten und glaube
161. „Die Liebe für Dein Volk geht allen Sorgen vor,
Dein Aug1 und dessen Schutz ist unser Wall und Thor.
Du kennst Dein Land, wie Dich, bist selbst sein reichster Segen,
Und schonst Dich, schonst Du ja, nur unsrer Wohlfahrt wegen."
213. „Herr! geh* ich weiter fort, so les* ich da und hier,
Wie gross und hoch Du bist, sogar auch ausser Dir.
215. Da spiegelt sich Dein Ruhm in todten Creaturen,
Und wo man hört und sieht, da sieht und hört man Spuren
Von Iriedriclfe Majestät. Venedigs Pracht und Stand
Ward dort von Sennazar der Götter Werk genannt,
Und zwar nicht sonder Grund: Ich weiss nicht, ob ich fehlte,
220. Wofern ich Dressdens Werth ihm an die Seite zählte" . . .
285. ,,Thu, was Du denkst und willst, ficht scherze, gieb, befiehl,
Nimm Masquen bei der Lust, halt Renn- und Bitterspier,
Verkleide Dich zur Jagd, begieb Dich auf die Wellen:
Der Sturm kennt Caesar''s Geist; Du kannst Dich nicht verstellen,
Der König blitzt hervor. Mund, Antlitz und Person
290. Fällt allen Malern schwer; und dies beweist uns schon,
Es habe die Natur, die nichts umsonst vollendet,
Die beste Zeugungskraft an Deiner Brust verschwendet,
Und, als sie Deinen Leib so starck und schön gebaut,
Des Ueberflusse8 Bild zum Muster angeschaut,
295. Dass, wenn sich nun Dein Geist zur Eitelkeit bequemte,
Kein Haus gemeiner Art den hohen Geist beschämte. U. s. w."
*) Man vergl. noch „Psych. Stud." Juli-Heft 1888. S. 32D ff.
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