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370 Pyschische Studien. XVI. Jahrg. 8. Heft. (August 1889,.)
die giftige Herbstzeitlose stehen lässt. Wenn man also die
transcendentale Psychologie als mittleres Gebiet zwischen
untergeordneten Nervencentren und Weltsubstanz nicht
kennt, so greift man bei der Erklärung somnambuler
Funktionen, die auch im Irrsinn vorkommen, jedes Mal
entweder zu hoch, oder zu tief.
Man hat schon häufig beobachtet, dass langjährige
Irrsinnige kurz vor dem Tode ihre Geisteskräfte wieder
gewannen. So sagt der Psychiatriker Brierre de Boismont:
— „Wie man in einer zerstörten Stadt da und dort
Monumente findet, welche den Stempel des nationalen
Genius tragen, so findet man bei den grossen Verwüstungen,
welche der Irrsinn anrichtet, unter den Ruinen unserer
Fähigkeiten die Spuren des unsterblichen Prinzips, welches
sie belebte."1) — Ebenso sagt der Physiologe Burdach: —
„Bei Abnormitäten des Gehirns bekommen Wahnsinnige
nicht selten vor dem Tode den Gebrauch ihrer Verstandeskräfte
wieder: so bei Ergiessung von Blut und Wasser, bei
Eiterungen, bei Verhärtungen, bei Hypertrophie, Hydatiden
und Afterbildungen, und zwar so, dass entweder die Verwirrung
in dem Maasse, als die Kräfte sinken, allmählich
abnimmt, oder plötzlich die volle Besinnung eintritt und
noch an demselben Tage der Tod erfolgt." 2) — Fechner
führt mehrere Aerzte an, die dieses Phänomen beobachtet
haben.8) Die physiologische Psychologie erklärt
dasselbe, wie eben Burdach, aus der im Sterben eintretenden
Beseitigung der physiologischen Hindernisse, oder aus dem
Absterben der erkrankten Gehirntheile. Damit lässt sich
aber besten Falls das Wiederaufleuchten der früheren
normalen Geistesfähigkeiten im Sterben Irrsinniger erklären;
aber gerade der springende Punkt ist nicht getroffen: das
Auftreten ganz neuer Fähigkeiten, nämlich der
mystischen, wie Fernsehen und Fernwirken, und
damit sind wir abermals vor die transcendentale Psychologie
gestellt.4) Weil nun auch diese Mystik im Irrsinn vorkommt,
so ist es allerdings wahr, was schon Haller gesagt hat, dass
wir Aufschlüsse über die Natur unserer Seele bekommen
müssten, wenn wir die Narren studiren würden.5)
Ich lasse zunächst einige Fälle folgen, welche die
physiologische Psychologie für sich zur Noth reklamiren
kann: — Dr. Marshall erzählt von einem Manne, der ein Pfund
*) Brierre de Boismont: — „Des baliucinations." Vorrede 9.
a) Burdach: — „Bau und Leben des Gehirns.*4 III. 185.
s) B echter \ — „Zend-Avesta." III. 181.
*) Du Preh — „Monistische Seelenlehre." Cap. XIII. „Der Tod."
ft) Haller: — „Elena, physiol." 24, 1.
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