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du Prel: Die Mystik im Irrsinn.
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Wasser im Gehirn hatte, aber kurz vor dem Tode völlig
vernünftig wurde, obgleich er vorher lange wahnsinnig gewesen
war.1) — Nach Bering wurde bei einer seit 3 Jahren
wahnsinnigen Erau der Verstand um so klarer, je mehr
ein in Folge eines Lendenabscesses entstandenes hektisches
Fieber überhand nahm, bis endlich die Kranke unter
völligem Gebrauch ihrer Geisteskräfte starb. Die Sektion
ergab Hypertrophie des erweichten Gehirns, Verdickung
des Schädels und Verwachsen der dura mater mit dem
Knochen.2) — Eine robuste Maniaca unterlag nach vierjährigem
Aufenthalt im Irrenhause einem gastrischen Fieber.
Als sich die bevorstehende Auflösung durch den Verfall der
Kräfte ankündigte, fing sie geistig zu gesunden an. In den
letzten zwei Tagen vor dem Tode sprach sie ganz vernünftig,
sogar mit einem Aufwand von Verstand und Klarheit, und
zwar in auffälligem Gegensatz zu ihrer früheren Bildung.
Sie erkundigte sich nach dem Schicksal ihrer früheren
Verwandten, bereute mit Thränen ihre Widerspenstigkeit
gegen die ärztlichen Anordnungen und unterlag endlich dem
herben Kampfe der wiedererwachenden Lebenslust mit dem
unabwendbaren Tode.3)
Man kann in seinen Concessionen an die physiologische
Psychologie getrost noch weiter gehen, indem man ihr überhaupt
alle jene Fälle preisgiebt, in welchen Irrsinnige die
früher bestandene geistige Gesundheit wieder
erreichten. Es giebt auch dann noch eine scharfgezogene
Grenze, über die keine physiologische Psychologie hinauskann
. Unerklärt muss sie alle mystischen Fähigkeiten
lassen, die bei Wahnsinnigen nicht etwa nur im Sterben,
sondern oft im Verlaufe der Krankheitsperiode eintreten.
Diese Mystik im Irrsinn kann sich zeigen als abnorm gesteigerte
Erinnerung, Ahnungsvermögen, Hellsehen, Fernsehen
in Zeit und Raum, Gedankenlesen, Fernwirken u. s. w.,
kurz in solchen Fähigkeiten, die in der Eegel nur bei
Somnambulen und Medien wahrgenommen werden. Davon
habe ich schon in früheren Schriften Beispiele angeführt
und werde weiter unten noch welche folgen lassen. Vorher
jedoch müssen wir bei diesen Analogien zwischen
Somnambulismus und Irrsinn um so mehr verweilen,
als uns erst dadurch die Mystik im Irrsinn verständlich
wird und eben im Verfolgen dieses Weges die bislang noch
fehlende Therapie des Irrsinns sich finden lässt.
*) Moore: — „Die Macht der Seele." 213.
2) „Nässe's Zeitschrift" (1840) I. 131-140.
») „Rust's Magnzin." Bd. 56. Heft 1.
(Fortsetzung folgt.)
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