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du Prel: Die Mystik im Irrsinn.
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pfindungen geliefert, welche dramatisirt werden, und deren
Ursache nach aussen verlegt wird. Das geschieht auch im
Irrsinn. Ich hatte Gelegenheit, eine Dame jahrelang zu
beobachten, die an Verfolgungswahn litt, von dem sie auch
ihre eigenen Angehörigen nicht ausschloss, denen sie gleichwohl
sehr zugethan blieb. Es kam oft plötzlich über sie,
dass sie zurückfuhr und ins Wanken gerieth, und dann
beklagte sie sich, von dem Zunächststehenden angespritzt
worden zu sein. Eine ohne Zweifel ganz reale Empfindung
wurde so dramatisch nach aussen verlegt. So motivirt auch
die Traumphantasie etwa die Erkältung des unter der
Bettdecke hervorschauenden Fusses dramatisch durch die
Vorstellung, dass wir durch einen Bach waten. Je mehr
Empfindungen nun in das Traumbewusstsein gelangen, desto
stoffreicher, aber auch desto ungeregelter ist der Traum.
Noch ein anderes Traumphänomen kehrt im Irrsinn wieder:
jene merkwürdige Vorstellungs Verdichtung der
gemäss unter Aufhebung des normalen, für unsere Vorstellungen
gültigen physiologischen Zeitmaasses
die Traumvorstellungen mit transcendentalem Zeitmaas
s abschnurren, so dass man innerhalb kurzer Zeit
Monate und Jahre durchlebt zu haben meint. Brierre de
Boismont sagt in dem bereits erwähnten Buche, dass die
Vorstellungen mancher Geisteskranken mit der Schnelligkeit
von Phantasmagorien ablaufen, und dass ein Irrsinniger in
diesem Fall einst ausrief; — „Je vis dans un monde
de reve!" — („Ich lebe in einer Traumwelt!")
Im Traum vermögen wir Subjektives und Objektives
nicht zu unterscheiden, er decentralisirt das Ich, er versetzt
uns also in der That in eine Art von Irrsinn, und doch
sind dies Phänomene des gesunden, kräftigenden Schlafes.
Sehen wir nun die Phänomene der transcendentalen
Psychologie im Somnambulismus noch gesteigert und
finden wir auch diese im Irrsinn, so schliessen daraus die
Gegner der Mystik, dass der Somnambulismus krankhaft
sei; in der That aber müssen wir vielmehr schliessen, dass
in den Irrsinn oft gesunder Autosomnambulismus sich einmischt
. Die Analogien mit dem Irrsinn können weder den
Hypnotismus, noch den Somnambulismus in Misscredit
bringen, und die Aerzte, welche dagegen sprechen, müsston
logischer Weise auch die nächtliche Ruhe widerrathen, denn
auch diese versetzt uns gewissermaassen in Irrsinn.
Bei Somnambulen, wie Irrsinnigen, finden wir also
Phänomene, die schon im gewöhnlichen Schlafe wetterleuchten
: — gesteigertes Erinnerungsvermögen, gesteigerte
Naturlieiikraft, Heilinstinkt, Gedanken-
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