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422 Psychische Studien. XVI. Jahrg. 9. Heft. (September 1889.)
herrührt; unerklärliche Vorgänge endlich sind sie eher
geneigt, Sinnestäuschungen als objectiven Einflüssen zuzuschreiben
. Und in fast allen diesen Fällen würde ihnen
eine genaue Untersuchung — dies lehrt die alltägliche
Erfahrung — Recht geben. Die Spiritisten sehen aber,
wie gesagt, in allen diesen ganz natürlichen Dingen Manifestationen
der Geisterwelt und finden ein sichtliches Vergnügen
daran, sie in diesem Sinne möglichst auszuschmücken
.
Gespensterwesen. — Uebersinnliche Vorgänge sind
also auf alle Fälle äusserst selten, und dies behaupte ich
sogar unter der Annahme, dass sie sämmtlich von lebenden
Menschen ausgehen. Es kann nicht im Plane des Schöpfers
liegen, dass es unsichtbare Wesen, denen auf keine
Weise beizukoinmen ist, vor denen sich also Niemand hüten
kann, anders als unter sehr seltenen Äusnahmebedingungen
gestattet sei, in unsere phänomenale Welt bethätigend einzugreifen
. Was würde sonst aus unserer Freiheit, aus
unserer Buhe, aus unserer Selbstständigkeit? Wer könnte
sich noch auf das Zeugniss seiner eigenen Sinne verlassen ?
Wie wäre es überhaupt möglich, zuverlässige Aussprüche
über die uns umgebende Welt zu thun, die Gesetze der
Natur zu erforschen, Bestimmtem zu wollen u. dergl., wenn
bei all diesen Thätigkeiten unseies Geistes gewisse selbstständig
denkende und wollende, aber jeder Heranziehung
spottende Intelligenzen ein Wort mitzureden hätten?
Die Gleichung der menschlichen Forschung wäre eine unauflösliche
, da ihr stets eine unbekannte Grösse übrig bliebe.
— Und wie sähe es bei dieser Annahme um unsere persönliche
Sicherheit aus? Gegen irdische Gefahren,
kämen sie von Wesen oder Dingen, können wir uns stets
mehr oder weniger schützen, da sie einer uns bekannten
Wahrnehmungssphäre entstammen; gegen übersinnliche,
dere?i Ursprung ausserhalb dieser Sphäre liegt, ständen wir
gänzlich wehrlos da. Mischten sich beständig — wie man
dies behauptet — unsichtbare Wesen in unser irdisches
Thun und Treiben, und wäre ihr Auftreten das des
normalen Menschen, d.h. wäre ihnen, wie dies in den
spiritistischen Kreisen behauptet wird, die Möglichkeit
gegeben, uns zu schaden, so geschähen mehr übersinnliche
Unthaten, als die Tagespresse registriren könnte; denn der
Mensch, im wachen Zustande wenigstens, steht in hohem
Grade unter der Herrschaft seiner Leidenschaften und
ist gewöhnlieh — dies ist traurig, zu sagen, aber leider
wahr — mehr zu fürchten als alle anderen irdischen Ge*
schöpfe.
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