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Wittig: Achelis über von Hartmann und den Spiritismus. 495
schlagenden Gründen ihre metaphysische Verwerthung.
Einmal muss man sich erinnern, dass wir alle Erscheinungen
dieses Unbewussten, wie überhaupt jede Negation eines
positiven Inhalts, uns nur nach den Analogien des uns
gegebenen, bewussten Lebens vorstellig machen können.
Alle Versuche deshalb, jenem eine selbstständige Bedeutung
vindiziren zu wollen, strafen sich selbst, indem sie unwillkürlich
und unvermeidlich die allein uns bekannten Beziehungen
des individuell bewussten Daseins in ihre
Deductionen hineintragen. Das ist nicht nur in der ganzen
spiritistischen Theorie zu erkennen, sondern nach
einer gewissen Richtung auch in der Thierpsychologie,
die gleichfalls die ihr anderweitig unlösbaren Vorgänge ganz
unbedenklich aus den Analogien der menschlichen Psyche
erläutert und mitunter nur poetisch paraphrasirt. Wir
werden später noch sehen, wie sich diese unausbleibliche
Verzeichnung des Unbewussten in das Bild des
bewussten Lebens hinein in metaphysischer
Hinsicht rächt; für jetzt möge es genügen, auch die
psychologische Ünzulässigkeit dieses Verfahrens
hervorgehoben zu haben. Das zweite Hinderniss, in dieser
Perspective in der That eine fruchtbare Erweiterung
unserer Erkenntniss zu sehen, besteht in der unleugbaren
Thatsache, dass uns zur genaueren Fixirung der
Aktion dieses Unbewussten schlechterdings jedes wissenschaftliche
Mittel versagt ist, wir also nur auf mehr oder
minder geistreiche Vermutbungen angewiesen sind.
Es soll dadurch nicht der Irrthum früherer philosophischer
Systeme vertheidigt werden, die immer
von der Vernunft als einem festen und bestimmten
Organ redeten, das keiner Entwicklung bedürfe und somit
auch keine graduellen Unterschiede zuliesse; die genauere
experimentelle Beobachtung hat vielmehr gezeigt, dass wir
eigentlich mit jenem Namen nur einen konventionellen Titel
für die denkbar verschiedensten geistigen Functionen besitzen,
die sich in berechenbaren Abstufungen in das Dämmerlicht
eines der bewussten und klaren Erkenntniss völlig entzogenen
seelischen Trieblebens verlieren. Das Ich ist durchaus nicht,
wie noch jetzt häufig vorgegeben, ein unwandelbares, spontanes
Agens, sondern vielmehr ein Produkt höchst mannichfaltiger
Faktoren mit ausserordentlich schwankender Intensität seiner
Wirksamkeit. Aber — und darauf kommt es hier an — es
ist für jede nüchterne Ueberlegung völlig unmöglich, diesen
Prozess der Individuation, d. h. der Entstehung des Ich aus
irgend welchen kosmischen Elementen, analytisch, inductiv
abzuleiten. Solange dieser geheimniss volle, um-
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