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du Prel: Die Mystik im Irrsinn. 513
Hippokrates sagt: — „In der Manie ist die Ekstase gut."1)
— Er hat also den Autosomnambulismus nicht bloss
beobachtet, sondern auch seine heilsamen Wirkungen erkannt,
daher er ihm ohne Zweifel bei seinen Patienten auch freien
Lauf Hess. Wo aber die transcendentale Natur des Autosomnambulismus
nicht erkannt wird, wird er in physiologischer
Deutung dem gestörten sinnlichen Bewusstsein zugeschrieben,
also für ein Krankheitssymptom gehalten und durch Douchen
bekämpft, statt dass er durch magnetische Behandlung gesteigert
und geregelt wird.
Die Psychiatrie der Zukunft wird zu Hippokrates
zurückkehren, welcher die Mystik in den Krankheiten wohl
kannte, und wird unterscheiden zwischen solchen Vorstellungen
der Irrsinnigen, die wirklich krankhafter
Natur sind, und jenen, die aus dem transcendentalen
Bewusstsein fliessen, und die nur um so reiner auftauchen
, wenn der Irrsinnige in künstlichen Somnambulismus
versetzt wird. Eine auf die Dauer des Somnambulismus
beschränkte Geistesklarheit, welcher geistige Umnachtung
vorausgeht und wieder folgt, ist eben als Gehirnfunktion
ganz und gar unerklärlich, setzt nothwendig ein doppeltes
Bewusstsein voraus und die Unterdrückung des einen und
seine Ablösung durch das andere.
Dieses Zurücktreten des Wahnsinns im Somnambulismus
dürfte nur um so leichter sein, wenn die
Störung nur einen bestimmten Punkt des geistigen Lebens
betrifft. Viele Irrsinnige sind nämlich, von einer fixen Idee
abgesehen, ganz gesunden Geistes. Ihre Handlungsweise
erscheint uns nur darum als verrückt, weil wir die, allerdings
irrige, Prämisse nicht kennen oder nicht anerkennen,
wovon sie ausgehen. Giebt man diese Prämisse zu, so
erscheinen die daraus fliessenden Handlungen ganz vernünftig
und logisch. Innerhalb des Wahnsinns können daher alle
geistigen Fähigkeiten angetroffen werden: Witz, Scharfsinn,
Logik, Tiefsinn u. s. w. Der Jesuite Sgambari^ der an der
fixen Idee litt, Cardinal zu sein, und durch nichts sich
davon abbringen Hess, erwiderte einst einem Geistlichen, der
ihm Vorstellungen darüber machte: — „Entweder halten
Sie mich für einen Narren, oder nicht. Im letzteren Falle
begehen Sie an mir ein grosses Unrecht, dass Sie mit mir
in einem solchen Ton reden; im ersteren Falle halte ich
Sie, mit Ihrer Erlaubniss, für einen grösseren Narren, als
mich selbst, weil Sie glauben, einen Narren durch blosses
*) Hippokrates x — „Aphorismen". VII. 5.
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