http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1890/0026
18 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1890.)
dass einer seiner gestorbenen Freunde sich ihm bemerkbar
machen wolle. Als er aber das Licht ausgelöscht und sich
zu Bett gelegt hatte, wurde die Bettstelle, ein ungewöhnlich
schweres Möbel, empor gehoben und fortgesetzt an derselben
gerückt. Das ging Herrn V. natürlich über den
Spass, er verbat sich d^n Unfug, und als das nichts fruchtete,
stand er auf und zündete Licht an. Aber kaum wieder im
Bett, begann das Rücken und Stossen von neuem. So ausser
Stande einzuschlafen, begab er sich schliesslich in das
Zimmer des Herrn T., wo er die Nacht zubrachte. Am
Morgen, als Herr V. sich gegen eine Bedienstete des Hotels
über die nächtliche Ruhestörung äusserte, sagte man ihm,
dass dergleichen schon mehrfach vorgekommen, wenn ein
gewisser Herr im Hotel übernachte, und dieser Herr war
P?s Zimmernachbar gewesen.
44. Fall. — Eine alte, sehr religiös gesinnte Frau zeigte
mir ein Gesangbuch, worin sich ein Blutfleck befand.
Damit hatte es folgende Bewandtniss: — Als junges Mädchen,
bei der Confirmation vor dem Altar stehend, gedachte sie
ihrer verstorbenen Eltern, mit der stillen Frage im Herzen:
— „Ob sie mich hier wohl sehen können?45 Da zog ein
kalter Luftstrom über ihr Gesicht, und in das offene Gesangbuch
, welches sie in der Hand hielt, fiel ein Blutstropfen.
Auf Nasenbluten schliessend, machte • sie eine prüfende
Handbewegung, aber an ihren weiss behandschuhten Fingern
zeigte sich keine Spur von Blut. — Ob es wirklich Blut
gewesen? Der Fleck hatte — nach mehr als 60 Jahren
— noch die Farbe desselben. Ich hegte die Absicht, den
Fleck chemisch untersuchen zu lassen, womit die Frau auch
einverstanden war, doch wurde dies durch ihren Tod vereitelt.
Eine Art Seitenstück zu diesem Fall will ich hier einschalten
. W., vom Lande gebürtig, arbeitete als halbwüchsiger
Bursche in der Erntezeit bei seinem Oheim, wo er eine sehr
harte Behandlung zu erdulden hatte. Eines Abends, nachdem
man ihm Tags auf dem Felde arg zugesetzt, gedachte
er mit Sehnsucht seiner verstorbenen Mutter. Da hörte er
plötzlich zwei Mal seinen Namen rufen: — „HeinricM Heinriche
und vor sich in der Luft gewahrte er eine menschliche Hand.
Dies geschah auf freiem Felde, wo er Niemand sah, der ihn
hätte rufen können. Und die Hand? Mag sein, dass beides
Hallucination gewesen, vielleicht auch nicht. Graue
Theorien reichen zur Erklärung solcher Erscheinungen
nicht aus.
Die vorher gedachte alte Frau hatte auch einen Sohn,
der sich in seinen Musestunden mit dem Geigenspiel beschäftigte
. Dieser blieb eines Mittags so lange aus, dass
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1890/0026