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Schmoll: Zerstreute Ideen in Sachen des Spiritismus. 23
dass Jemand selbst in den Seancen dieser Experimentateure
auf ernste Weise geistig oder körperlich geschädigt
worden sei.
Schlaf geht vor Medizin; — dies ist ein Axiom,
welches kein erfahrener Arzt bestreiten wird. In der That,
jede natürlich und zwanglos eintretende Unterbrechung in
der Thätigkeit des Cerebralsystems, vom gewöhnlichen Schlafe
bis zum ausgeprägtesten Somnambulismus, kann nur wohl-
thätig auf unseren Organismus einwirken. Wenn wir schlafen,
befindet sich unser Empfindungs- und Wahrnehmungsapparat
in Anästhesie; seine normalen Functionen sind unterbrochen,
und die von aussen kommenden Eindrücke afficiren ihn nur
noch in einem sehr geringen Grade. Dies ist aber gerade
der Zustand, in welchem das stets bildende, stets ausgleichende
, stets auf Harmonie und Einheit hinzielende
(vermuthlich im Sonnengeflechte residirende) Lebensprincip
am energischsten auf unseren Organismus einzuwirken vermag.
Freilich ist dasselbe auch im wachen Zustande nicht un-
thätig, da es ja den unbewussten Functionen des Organismus
vorsteht und überhaupt den ganzen Lebensprocess bedingt;
aber seine Thätigkeit ist alsdann mehr oder weniger geschwächt
, neutralisirt und gebrochen durch die tausend
Eindrücke, welche unser Sinnenapparat — um den es sich
in den meisten Krankheiten, sei es direct oder indirect,
handelt — von der äusseren Welt empfängt. Es geht ihm
dabei, wie es uns geht, wenn wir einen Menscheq anreden,
dessen ganze Aufmerksamkeit durch eine lebhafte Unterhaltung
mit einer dritten Person in Anspruch genommen
ist; man wird unter diesen Umständen wenig oder gar kein
Gehör finden. Je mehr das ßewusstsein, welches wir von
unseren Beziehungen zur Aussenwelt haben, geschwächt und
gedämpft ist, desto energischer wird also der in unserem
Inneren verborgene Arzt aller Aerzte seine Kunst ausüben
können.
Auf den niedrigeren Stufen der Thierwelt finden wir
eine Lebensfähigkeit, welche uns ganz abgeht. Einen Polypen
kann man umdrehen wie einen Handschuh, ohne dass er
besonders dadurch incommodirt würde; in Stücke zerschnitten,
lebt er fort in ebenso vielen selbstständigen Individuen, als
Stücke vorhanden waren. C. Flammarion berichtet,*) dass
Heuschrecken, denen er den Kopf abgeschnitten hatte,
mehrere Wochen nach der Operation noch ganz munter in
seinem Garten umher gehüpft seien und vielleicht noch
länger fortgelebt hätten, wenn eine künstliche Weiter-
*) C. tflmtwrion „Le Moade avant la cr£ation de Phomme." Paris.
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