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46 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1890.)
vor sich, die sie anstarrten und ihr Angst machten. Von
diesem Fräulein von Montmorency erzählt sie ferner als
Beweis ihres energischen Charakters, dass sie im Alter von
acht oder neun Jahren mit der Aebtissin des Klosters,
einer Frau von Richelieu, einen so heftigen Streit gehabt
habe, dass Letztere ihr gedroht, sie würde sie tödten;
darauf habe das junge Mädchen nur geantwortet: — 'Das
würde nicht das erste Mal sein, dass die Richelieu die
Henker der Montmorency wären.'" — Von einer anderen
Lehrerin, Frau (eigentlich Fräulein) von Rochechouari,
welche eine der drei Töchter des Herzogs von Mortemart
war, damals im 28. Jahre, gross, schön gebaut, mit
hübschen Füssen, zarten weissen Händen, prächtigen Zähnen,
grossen schwarzen Augen, stolzem und ernstem Wesen und
dabei entzückendem Lachen, stets menschlich und gut,
gebildet und voller Talente, berichtet sie: — „Ich werde
nie vergessen, was mir eines Tages mit Frau v. Rochechouari
begegnete; sie hatte mir befohlen, am Abend in ihre Zelle
zu kommen; ich ging und fand sie umgeben von Papieren
und mit Schreiben beschäftigt; da dies gewöhnlich der Fall
war, wunderte ich mich nicht weiter darüber, aber was
mich in Staunen versetzte, war, dass ich sie völlig ausser
Fassung fand, und dass sie bei meinem Eintritt auffallend
erröthete. Sie hiess mich ein Buch nehmen und mich
hinsetzen. Ich that demnach, als ob ich läse, und beobachtete
sie dabei; sie schrieb in äusserster Erregung weiter, rieb
sich die Stirne und seufvte laut, sah rechts und links um
sich, und ihre Augen waren starr und abwesend, als weilten
ihre Gedanken hundert Meilen weit entfernt. Ich wusste,
dass sie oft drei Stunden hinter einander schrieb und dann
beim geringsten Geräusch aufsprang und ihren Aerger über
die Störung nicht verhehlte. An jenem Tage sah ich aber
so deutlich Thränen in ihren Augen, dass mir mit einem
Male der Gedanke kam, es quäle sie ein Leid. Während
ich dies dachte, sah sie mich an; sie hatte einen Bogen
vor sich, die Feder in der Hand, ihr Mund war ein wenig
geöffnet, ihre Augen gerade aus gerichtet, und die Thränen
flössen herab. Dies ergriff mich so tief, dass auch meine
Augen feucht wurden und ein schwerer Seufzer sich meiner
Brust entrang; dies erweckte Frau von Rochechouari aus
ihrer Starrheit; sie sah, dass ich ihre Seelenangst bemerkt
hatte. Sie gab mir die Hand mit einer sehr ausdrucksvollen
, rührenden Geberde und sagte: — 'Mein Herz, was
hast Du denn?' Ich küsste ihre Hand und brach in
Thränen aus. Da schloss sie mich in ihre Arme und sagte
nach einem kurzen Schweigen: — 'Ich bin mit einer sehr
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