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92 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1890.)
Empore hängt. In diesem vor mehr als drei Jahrzehnten
gar nicht sachverständig übermalten oder aufgefrischten
Stadtwappen macht die Figur des Einsiedlers durchaus nicht
den Eindruck eines solchen, so dass ortsangesessene Alterthumsforscher
ihn eher für einen Feldherrn Dippold von
Vöburg (1109) zu erklären versucht haben, der ein kreuz weises
Wehrgehänge über der Brust trage, da sie als Protestanten die
gekreuzte Stola des katholischen Mönches und Einsiedlers,
welcher zugleich Leutepriester war, darin nicht wieder
erkannten. Ein Vollbart ist wohl sichtbar, aber er ist nicht
grau oder weiss, sondern schwarz übermalt. Auch die
Kopfbedeckung ist etwas anders geformt, als sie ein Einsiedler
tragen würde, aus dem Barett oder dem Einsiedlerhut
ist eine Art Feldherrnhut mit einer Ookarde vorn geworden.
Was aber das visionäre Bild unserer Erinnerung
von diesem Stadtwappenbilde unterscheidet,
ist. dass auf ersterem die beiden Fichten oder Eichen mit
ihren Wurzeln gekreuzt unter dem Einsiedler lagen,
während auf dem Stadtwappen die beiden Bäume über
dem Kopfe des Mannes sich gekreuzt befinden. Hieraus
ergiebt sich, dass unser Erinnerungs-Wandgemälde nicht
von diesem etwa nur flüchtig gesehenen und wieder vergessenen
Stadtwappen herrühren kann. Wir sahen ja nur
die braune Mönchskutte mit dem Cingelum (Strick) um die
Lenden, und keineswegs die über der Brust gekreuzte Stola.
Ich war nach ein paar Jahren (Sommer 1878) ganz erstaunt,
dieses so ganz anders geartete Stadtwappen zum ersten Mal
wirklich zu erblicken und in seinen abweichenden Verschiedenheiten
zu studiren. Ein Bürger und Stadtrath Herr R. hatte
mir bereits darüber auf meine Anfragen im October 1877
geschrieben, aber ich konnte mich in seinen Angaben gar
nicht zurecht finden. Ich meinte immer mein visionäres
Wandgemälde, er bezog sich stets auf das vorhandene
Stadtwappen. Und so kamen wir nicht eher überein, als
bis ich letzteres selbst gesehen hatte.
Es bleibt demnach auch nach meiner Tochter Darstellung
dasselbe psychische Räthsel noch ungelöst, das
vielleicht nur in einer gemeinsamen psychischen Vorstellungs-
Uebertragung zu wurzeln vermag. Es ist mir noch dunkel
erinnerlich, als ob ich mit meiner Tochter absichtlich darauf
ausgegangen sei, ein solches altes, vielleicht schon über-
tünchtes Wandbild des heiligen Einsiedlers Dippold irgendwo
zu suchen, und so mag sich in unserer Erinnerung dieses
vorgestellte Suchen in ein bestimmtes Finden verwandelt
haben. Bäthselhaft bleiben dabei immerhin noch die so
ganz bestimmten und vom Stadtwappen abweichenden
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