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96 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1890.)
ihre weiteren Eifersuchtsscenen mit ihrem Gatten, ihre
Schwärmerei für Napoleon L, dessen Adjutant Graf Franz
Poiocki geworden war, und den sie in Notre-Dame krönen
sah. Für sie ist Napoleon damals der ausserordentlichste
Mensch, welcher je gelebt hat. Sie vergleicht seinen Kopf
mit dem des Apollo, findet ihn aber noch schöner. Seine
Mutter Laetitia ist in ihren Augen die gebenedeiteste Frau
der Erde. Wie sollte sich die Anschauung, welche freilich
die in Frankreich herrschende war, ändern, als Napoleon^
Glücksstern erlosch! Eine Frau von Coaslni soll geäussert
haben, „die Franzosen sind in einem solchen Grade von ihm
unterjocht, dass, wenn der Kaiser verkündete, er wolle nur
noch über Cyklopen herrschen, Jeder sich mit Begierde ein
Auge nehmen lassen würde!" — Aber schon sieben Jahre
später datirt Helene einen Brief an ihren abwesenden Manu
aus „Paris, am 4. April 1814, dem vierten Tage unserer
Befreiung", worin sie Kaiser Alexander den Retter
Frankreichs nennt. —
„Im October des Jahres 1814 reiste sie ihrem Gatten
noch einmal nach Brody nach. Während ihrer dortigen
Anwesenheit starb ihr treuester Freund und Berather, der
alte Fürst von Ligne in Wien. Dorthin reiste sie während
der 100 Tage und kehrte erst nach Napoleoris Verbannung
nach Paris zurück. Von dort schrieb sie am 19. October
1815 ihren letzten liebenswürdigen Brief an ihren Gatten
nach Brody: — , . . . Ich kann ohne Dich nicht meines
Lebens froh sein, meine Existenz bedarf eines so innigen
Seelenbündnisses, als zwischen uns besteht. Die Natur hat
mich denjenigen Geschöpfen zugesellt, welche das Leben
nicht mehr ertragen können, wenn ihnen der Gefährte
genommen wird, dem sie sich angeschlossen haben. Nimm
ein naturhistorisches Wörterbuch zur Hand, darin findest
Du wohl diese Wesen aufgeführt und kannst dann meinen
Namen am Schlüsse beifügen.. . Am Ende meiner Laufbahn
sehe ich, was ich Alles unterwegs verloren habe; ich möchte
umkehren und meine Lieblinge wieder in meine Arme
schliessen. — Lebewohl, mein Vincenz. schone Dich, liebe
mich und komme zurück. Ich umarme Dich mit aller Kraft
meiner Seele.4 - Als der Graf diesen Brief erhielt, war die
Hand, welche ihn geschrieben, wohl schon erkaltet. In der
Nacht des 30. October 1815 erkrankte Helene plötzlich und
starb nach 12 Stunden in den Armen ihrer Tochter. — Graf
Vincenz gab sich zwar heftigen Schmerzensäusserungen hin,
aber weder er, noch ihre Tochter erwiesen ihren sterblichen
Ueberresten die gebührenden Ehren. Denn in den Registern
des Kirchhofes Pere-la-Chaise in Paris findet sich die un-
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